10.2. Vorurteil in der Fachwelt
10.2.2 Vereinzelte Beispiele für das Vorliegen eines Vorurteils
Eine Aussage in einer einzelnen Patentschrift belegt grundsätzlich nicht das Vorliegen eines Vorurteils (T 19/81, ABl. 1982, 51; T 392/88, T 900/95, T 1212/01), da den technischen Informationen in einer Patentschrift oder einem wissenschaftlichen Artikel möglicherweise besondere Voraussetzungen oder die persönliche Ansicht des Verfassers zugrunde liegen. Dieses gilt jedoch nicht für Ausführungen in einem Standardwerk oder Lehrbuch, in dem das allgemeine Fachwissen auf dem fraglichen Gebiet zusammengefasst wird (T 321/87; T 392/88; T 515/91; T 453/92; T 1212/01).
In T 943/92 wurde das Vorliegen eines Vorurteils durch ein Fachbuch belegt, welches das Fachwissen auf dem Spezialgebiet des angefochtenen Patents widerspiegelte. Dieses Fachbuch beinhalte nicht die Meinung eines einzigen Autors des Fachbereichs, sondern die der Fachwelt, denn es resultierte aus der Mitarbeit "zahlreicher anerkannter Wissenschaftler, Techniker, Praktiker sowie Verbände und Institute". Allgemeine kritische Bemerkungen in einem einzigen Lehrbuch belegen nicht hinreichend, dass ein Vorurteil besteht, wenn eine Vielzahl von Vorveröffentlichungen auf das Gegenteil hindeuten (T 134/93).
In T 1989/08 machte die Kammer darauf aufmerksam, dass es z. B. nicht genügt, dass die Meinung oder Vorstellung von einer begrenzten Zahl von Personen vertreten wird oder in einem bestimmten Unternehmen, gleich welcher Größe, vorherrscht. Im vorliegenden Fall umfassten die vorgebrachten Beweismittel zum Beleg des angeblichen Vorurteils insgesamt nicht mehr als zehn Dokumente, die alle entweder fachspezifische Abhandlungen oder Patente waren. Diese geringe Zahl von Veröffentlichungen, die für eine ausgewählte Leserschaft in dem betreffenden Fachgebiet gedacht waren, war an sich keine tragfähige Grundlage für die Behauptung, es liege ein Vorurteil vor (s. auch T 25/09).
In T 2044/09 wurde eine Erklärung eines Sachverständigen auf dem betreffenden Gebiet nicht als Beweis dafür angesehen, dass am Prioritätstag im Stand der Technik ein Vorurteil bestand: Die fragliche Erklärung gebe vielmehr die Auffassung eines einzelnen Sachverständigen wieder, die dieser fast zehn Jahre nach dem Prioritätstag geäußert habe.
In T 638/19 befand die Kammer, dass es sich bei den angeblichen Vorurteilen im Stand der Technik bei D4 und D1 um vereinzelte Veröffentlichungen handelt, die weder allgemeines Fachwissen darstellen noch Schlussfolgerungen enthalten, die von der Fachperson als allgemein anwendbar verstanden werden können. Daher können sie für die Fachperson kein Vorurteil begründen.