8.3. Wissensstand der Fachperson
8.3.3 Handbücher, Fachliteratur und allgemeines Fachwissen
In T 426/88 (ABl. 1992, 427) stellte die Kammer fest, dass ein allgemeines Lehrbuch über ein großes technisches Gebiet, das auch das spezielle Gebiet der Erfindung umfasst, zum allgemeinen Wissensstand der Fachperson auf diesem Gebiet gehört. Wenn Bücher, die den allgemeinen Wissensstand repräsentieren, eine grundlegende allgemeine Fachtheorie oder Methodik beschreiben und diese nur auf bestimmten Fachgebieten durch spezielle Anwendungsbeispiele veranschaulichen, werden dadurch der allgemeine Umfang und die Relevanz solcher Offenbarungen nicht so eingeschränkt, dass Anwendungsmöglichkeiten auf anderen Gebieten ausgeschlossen werden. Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, dass das in deutscher Sprache herausgegebene Buch von den einschlägigen Fachleuten in Großbritannien kaum als Nachschlagewerk benutzt werde. Die Beschwerdekammer hielt sich jedoch an die Definition des Stands der Technik gemäß Art. 54 EPÜ 1973, wonach der Ort, an dem die Fachperson ihren Beruf ausübt, keine Rolle spielt. Auch war sie der Auffassung, dass die Veröffentlichungssprache allein nicht entscheidend für die Zulässigkeit eines Fachbuchs sein kann, das den allgemeinen Wissensstand der Fachperson repräsentiert (s. auch T 1688/08). Die Kammer in T 2058/18 befand, dass die (technische) Fachperson zwar eine mehrsprachige Person sein kann, in der Regel aber kein Sprachwissenschaftler (s. auch T 532/20).
In T 766/91 betonte die Kammer, dass Informationen in der Regel nicht dadurch zu allgemeinem Fachwissen werden, dass sie in einem bestimmten Handbuch oder Nachschlagewerk veröffentlicht werden, sondern vielmehr erst dann Eingang in Handbücher und Nachschlagewerke finden, wenn sie bereits allgemeines Fachwissen sind. Aus diesem Grunde kann die Veröffentlichung etwa in einer Enzyklopädie oder einem Standardnachschlagewerk in der Regel als Beweis dafür genommen werden, dass eine Information nicht nur bekannt war, sondern zum allgemeinen Fachwissen gehört. Im Verfahren T 378/93 wies die Kammer darauf hin, dass dasselbe für einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift gilt, die sich hauptsächlich an die Fachwelt richtet und weltweit einen seriösen Ruf genießt. In T 537/90 stellte die Kammer fest, dass in einem relativ kurzen Zeitraum gehäufte Veröffentlichungen von Tagungs- und Forschungsberichten in einschlägigen Fachzeitschriften über die in einer im Durchbruch befindlichen Technik gewonnenen Erkenntnisse das zu dieser Zeit allgemein präsente Fachwissen wiedergeben können. In T 890/02 (ABl. 2005, 497) hielt die Kammer ferner fest, dass zu den Fähigkeiten der Fachperson nicht nur allgemeine Grundkenntnisse auf einem bestimmten Gebiet der Technik gehören, sondern auch die Fähigkeit, solche Kenntnisse in Enzyklopädien und Handbüchern sowie – in Ausnahmefällen – in einschlägigen Untersuchungsreihen oder in einer wissenschaftlichen Publikation oder einer Patentschrift nachzuschlagen.
In T 1255/21 befand die Kammer, dass in einem in rascher Entwicklung befindlichen Gebiet wie der medizinischen Forschung und insbesondere in der Onkologie Übersichtsartikel das allgemeine Fachwissen der Fachperson wiedergeben können.