9.3. Kombinationserfindungen
9.3.2 Teilaufgaben
Das Vorliegen einer Kombination von Merkmalen, also einer Kombinationserfindung, ist im Gegensatz zu dem bloßen Vorliegen von Teilaufgaben, d. h. einer Aggregation von Merkmalen, patentrechtlich anders zu beurteilen. Nach gängiger Rechtsprechung liegen Teilaufgaben vor, wenn es sich bei den Merkmalen oder Merkmalsgruppen eines Anspruchs um eine bloße Aggregation dieser Merkmale oder Merkmalsgruppen (Nebeneinanderstellung oder Aneinanderreihung von Merkmalen) handelt, die in keiner funktionellen Wechselwirkung zueinander stehen, d. h. sich nicht gegenseitig zur Erreichung eines über die Summe ihrer jeweiligen Einzelwirkungen hinausgehenden technischen Erfolgs beeinflussen, wie es im Gegensatz dazu bei einer Kombination von Merkmalen vorausgesetzt wird. Es ist zu untersuchen, ob sich die Merkmalsgruppen jeweils für sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten lassen (T 389/86, ABl. 1988, 87; T 387/87; T 294/90; T 363/94; T 926/11; T 1587/14). Weiterhin ist zu beachten, dass bei Lösungen von Teilaufgaben, die auf unterschiedlichen technischen Fachgebieten liegen, jeweils auf das Wissen und Können der für die betreffende Problemlösung zuständigen Fachperson abgestellt wird (T 32/81, ABl. 1982, 225; T 324/94).
In T 389/86 (ABl. 1988, 87) standen die beiden beanspruchten Merkmalsgruppen in keiner funktionellen Wechselwirkung zueinander. Die Kammer führte aus, dass bei dieser Sachlage zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit kein kombinatorischer Effekt geltend gemacht werden kann; vielmehr ist zu untersuchen, ob sich die beiden Merkmalsgruppen jeweils für sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten lassen. Zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs genügt es dabei, wenn eine dieser Gruppen etwas Erfinderisches enthält (s. auch T 345/90, T 701/91, T 94/05, T 450/06, T 102/08, T 619/08, T 2097/10, T 1012/19).
Das Patent in T 1836/11 betraf einen zweistufigen Turbolader für einen Verbrennungsmotor. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) machte geltend, dass die Merkmale der Verjüngung und der Doppelzufuhrschnecke nicht getrennt voneinander betrachtet werden könnten, weil sie synergistisch zum angegebenen Ziel der Effizienzsteigerung beitrügen. Die Kammer erkannte keine Synergie zwischen diesen Merkmalen. Dass beide Merkmale demselben übergeordneten Zweck dienten, bedeute nicht, dass sie in einer funktionellen Wechselwirkung zueinander stünden, so die Kammer.
In T 130/89 (ABl. 1991, 514) setzte sich die zu lösende Aufgabe aus zwei technisch voneinander unabhängigen Teilaufgaben zusammen, die unabhängig voneinander jeweils durch ein Merkmal des beanspruchten Gegenstands gelöst wurden. Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass die Eigenständigkeit der beiden Merkmale des beanspruchten Gegenstands (jedes Merkmal erzielte eine andere Wirkung) dazu führte, dass zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit neben dem nächstliegenden Stand der Technik D1 zwei weitere Dokumente des Stands der Technik (D2 und D3) heranzuziehen waren, um jede der beiden Teilaufgaben definieren zu können. Sie kam zu dem Schluss, dass beide Teilaufgaben naheliegend waren, weil sie jeweils durch Mittel gelöst wurden, die nur die bekannten Funktionen erfüllten, und dass die Erfindung daher keine erfinderische Tätigkeit aufwies. Auch in T 597/93 sah die Kammer in der Kombination der beiden – jeweils an sich bekannten – Merkmale des Anspruchs keine Erfindung, da sie die Lösung von zwei voneinander unabhängigen Teilaufgaben betrafen. Sie verwies auf T 687/94, wonach in einem solchen Fall für einen Vergleich mit dem Stand der Technik die Lösungen unabhängig voneinander betrachtet werden können (s. auch T 315/88, T 65/90, T 2110/08).
In T 711/96 stellte die Kammer fest, dass die in der vorliegenden Sache kennzeichnenden Merkmale a) und b) völlig unabhängig voneinander funktionierten, sodass sich keine (kombinatorische) funktionelle Wechselwirkung ergab. Obwohl die Einstellung der einen Größe die Einstellung der anderen indirekt beeinflussen konnte, ergab sich keine direkte Beziehung zwischen den entsprechenden Merkmalen. Die kennzeichnenden Merkmale konnten einander somit beeinflussen, mussten aber nicht. Daher betrachtete die Kammer jedes der Merkmale a) und b) für die Frage der erfinderischen Tätigkeit für sich und hielt beide Teilaufgaben für naheliegend (s. auch T 1585/07).
In T 410/91 verneinte die Beschwerdekammer das Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit, da zwar sämtliche im Anspruch 1 enthaltenen Maßnahmen zur Erhöhung des Wirkungsgrads der Anlage einen Beitrag leisteten, dieser Beitrag jedoch auf bekannten und unterschiedlichen Einzelwirkungen beruhte, die die Realisierung dieser Maßnahmen in von der Fachperson erwarteter Weise zur Folge hatte. Es lag somit beim Gegenstand des Anspruchs 1 eine Aneinanderreihung von bekannten Maßnahmen vor, die ihre charakteristischen Wirkungen entfalteten, ohne dass ein synergistischer, auf der Kombination der Einzelmaßnahmen beruhender Effekt im Sinne einer gegenseitigen funktionellen Beeinflussung erkennbar gewesen wäre (s. auch T 144/85, T 141/87, T 407/91, T 1277/01).
In T 204/06 erinnerte die Kammer daran, dass beim "could/would approach" nicht danach zu fragen ist, ob die Fachperson in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils einen bestimmten Schritt hin zur Erfindung hätte tun können, sondern ob sie ihn auch getan hätte (T 2/83, ABl. 1984, 265). Dieser Ansatz darf nicht so verstanden werden, dass Erfindungen, bei denen zwischen bekannten Gestaltungsmöglichkeiten eine Auswahl getroffen wird, nicht naheliegend sind, sofern die Anzahl der zur Auswahl stehenden Möglichkeiten nur groß genug ist. Vielmehr ist eine beanspruchte Merkmalskombination nach diesem Ansatz naheliegend, wenn die Fachperson sich von jedem Merkmal eines Anspruchs einen Vorteil erwartet und nicht mehr als diesen Vorteil bekommt. Daraus folgt, dass jede Merkmalskombination, die bekannte Vorteile (und Nachteile) hat, naheliegend ist, wenn sie keine unerwartete Wirkung erzeugt (s. auch T 2044/09).
In T 547/17 stimmte die Kammer zu, dass die beiden Unterscheidungsmerkmale des strittigen Anspruchs zu einer Maximierung des Ausgangsstroms beitrugen, dies jedoch nicht bedeutete, dass der resultierende Ausgangsstrom mehr als die bloße Summe der Einzelbeiträge der beiden Verhältnisse war. Die Tatsache allein, dass beide Merkmale zur Maximierung derselben physikalischen Größe (d. h. des Ausgangsstroms) beitragen, genügt nicht für die Schlussfolgerung, dass eine Synergie zwischen ihnen bestünde. Die Kammer stimmte dem Beschwerdegegner auch darin zu, dass die beiden Verhältnisse der Unterscheidungsmerkmale miteinander verknüpft waren. Ob jedoch zwischen zwei Merkmalen eine Synergie besteht, hängt davon ab, ob ihre technischen Wirkungen zu einem kombinatorischen technischen Effekt führen, der nicht nur eine geometrische Wechselwirkung ist, sondern größer als die Summe der technischen Wirkungen der Einzelmerkmale ist.
In T 2622/19 befand die Kammer, dass, selbst wenn die technische Wirkung glaubhaft auf die Kombination der Merkmale h) und i) zurückgeführt werden könnte, sie nicht davon überzeugt war, dass die Fachperson ohne nachträgliche Erkenntnisse zu dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangt wäre. Zwar hätte es für die Fachperson auf der Grundlage seines allgemeinen Fachwissens technisch Sinn ergeben können, die objektive technische Aufgabe des Beschwerdegegners (eine Kombination von Merkmalen) zu berücksichtigen, doch war die Kammer nicht der Ansicht, dass die Fachperson ohne weiteres E2 mit E5 kombiniert hätte, wie es der Beschwerdegegner vorschlägt.
In T 277/23 war der Gegenstand von Anspruch 1 nach Ansicht der Kammer das Resultat einer mehrmaligen Auswahl aus der breiteren Offenbarung der D1. Ohne eine mit diesen Auswahlschritten verbundene technische Wirkung seien diese jedoch beliebig. Die Kammer führte aus, dass die Fachperson solche beliebigen Auswahlschritte aus einer breiteren Offenbarung auf dem vorliegenden technischen Gebiet aus Routinegründen vornehme, sodass sie zum beanspruchten Gegenstand gelangt wäre. Der beanspruchte Gegenstand sei der Fachperson daher nahegelegt gewesen. Die Frage, wie oft beim routinemäßigen Vorgehen der Fachperson eine Auswahl getroffen werden muss, um zum strittigen Anspruchsgegenstand zu gelangen, sei entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers (der in einer viermaligen Auswahl eine die erfinderische Tätigkeit begründende Anzahl bzw. einen ausreichenden erfinderischen Abstand gesehen hatte) unerheblich (s. auch T 204/06).
- T 1272/22
In T 1272/22 the appellant (opponent) and respondents (patent proprietors) disputed whether there was a synergistic effect between the distinguishing features, even if it were considered they served the same purpose. The board, applying Headnote II of G 2/21, could not see that the skilled person would have derived the synergistic technical effect referred to by the respondents when considering the application as originally filed. There was no explicit mention of any relationship between the two features and the position of the critical section for the efficiency of the connection, which the respondents had also relied on in its arguments in support of there being synergy, was not defined in the contested patent. The alleged synergy did not appear to the board to be derivable by the skilled person from the application as originally filed and it therefore held the partial problem approach was thus justified in the case in hand.