3. Klarheit der Ansprüche
3.4. Deutlichkeit von breiten Ansprüchen
In T 238/88 (ABl. 1992, 709) wurde festgestellt, dass die Klarheit eines Anspruchs nicht schon durch die Breite eines darin enthaltenen Fachbegriffs (z. B. "Alkyl") beeinträchtigt ist, wenn die Bedeutung dieses Begriffs – an sich oder anhand der Beschreibung – für die Fachperson eindeutig ist (s. auch dieses Kapitel II.A.6. "Auslegung der Ansprüche").
In T 935/14 wies die Kammer jedoch auch darauf hin, dass breite Merkmale nur dann als klar gelten können, wenn die Fachperson die Grenzen des – breiten – Schutzumfangs eindeutig ableiten kann. Dies macht den Unterschied zwischen breit, aber klar und breit und vage.
In T 523/91 führten die Formulierungen "Kunststoffen in Verbindung mit Einlagen" sowie "diese Einlage gewickelt oder gefaltet mit dem Kunststoffgranulat verbunden" nach Meinung der Kammer nicht zu einem unklaren Anspruchsgegenstand im Sinne von Art. 84 EPÜ 1973, da die Art der Verbindung zwar mehrere Möglichkeiten umfasse, daraus aber wohl ein breiter, nicht aber ein unklarer Anspruchsgegenstand resultiere. Die Anspruchsbreite könne jedoch nicht als solche, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Kriterien, wie z. B. Neuheit, erfinderische Tätigkeit oder Ausführbarkeit, angegriffen werden.
Auch in T 688/91 präzisierte die Kammer, dass die Breite eines Anspruchs nicht mit Mangel an Klarheit gleichzusetzen ist. Der Anspruch lautete: "Integrierte mikroprogrammierte Vorrichtung [...] mit einer Vorrichtung zur Erzeugung der T-States [...] dadurch gekennzeichnet, dass [...] die Erzeugung der T-States [...] jeweils in Abhängigkeit von vorhergehenden T-States und von Zustandsparametern wie den Momentanwerten von Zustands- bzw. Modussignalen [...] erfolgt und [...]". Selbst wenn das Wort "wie" als "beispielsweise" verstanden wird, sodass die anschließenden Angaben als nicht einschränkend zu interpretieren sind, ist nach Auffassung der Kammer das Wort "Zustandsparameter" insofern klar, als es besagt, dass die T-State-Erzeugung in Abhängigkeit von irgendwelchen Größen erfolgen soll, welche einen Zustand der Vorrichtung repräsentieren. Zwar ist der Anspruch wegen der allgemeinen Interpretierbarkeit der verwendeten Begriffe als breit anzusehen; Breite ist jedoch nicht mit Mangel an Klarheit gleichzusetzen.
In T 630/93 stellte die Kammer fest, dass nach der impliziten Aussage des Art. 84 Satz 1 EPÜ 1973 in einem Anspruch technische Merkmale oder Schritte nicht immer in allen Einzelheiten angegeben werden müssten. Die wesentlichen Merkmale hätten, auch wenn sie in der Regel technisch ausgedrückt seien, häufig eine Abgrenzung der Erfindung nach außen zum Zweck und nicht die detaillierte Definition der innerhalb dieser Grenzen liegenden Erfindung. Daher seien wesentliche Merkmale oft sehr allgemeiner Natur und könnten sich in Extremfällen auf bloße Prinzipien oder einen neuen Gedanken beschränken (s. auch unter Kapitel II.C. "Ausreichende Offenbarung").
In T 29/05 wurde festgestellt, dass die Behauptung, die fraglichen Ansprüche beinhalteten einen mit dem Anmeldungsgegenstand nicht zusammenhängenden Gegenstand, rein hypothetisch war und dass die Prüfungsabteilung auch keinen Beleg für sein mögliches Vorhandensein im Stand der Technik vorgelegt hatte. Mangels eines derartigen Belegs musste davon ausgegangen werden, dass jedes einzelne anspruchsgemäße Nukleinsäuremolekül zu dem in der Anmeldung offenbarten Gegenstand in Beziehung stand. Dass eine große Zahl möglicher Nukleinsäuresequenzen unter den Anspruch fallen konnte, rechtfertigte keinen Einwand der mangelnden Klarheit.
In T 2154/11 befand die Kammer, die Einwände der Prüfungsabteilung, dass die Begriffe "metadata describing an event", "taking" und "connecting" breit seien und wohlbekannte Tätigkeiten umfassten, seien per se keine stichhaltigen Gründe für mangelnde Klarheit. Die Tatsache, dass einige dieser Verfahrensschritte so verstanden werden könnten, dass sie sich auf "gedankliche Tätigkeiten" oder "normale menschliche Tätigkeiten" beziehen, sei ebenfalls kein triftiger Grund für die Feststellung mangelnder Klarheit, solange diese Schritte wie im vorliegenden Fall keine Mehrdeutigkeit bewirkten. Wenn ein Verfahrensschritt so ausgelegt werden könne, dass er sich auf eine normale menschliche Tätigkeit beziehe, dann müsse diese Auslegung bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit berücksichtigt werden.
Nach Auffassung der Kammer in T 712/21 haben die Begriffe Hydrodesoxygenierung ("HDO") und Hydroentparaffinierung (auch Hydrodewaxing ("HDW")) eine "allgemein anerkannte Bedeutung" auf dem zugrunde liegenden technischen Gebiet. Darum seien trotz möglicher Überschneidungen der Anwendungsbereiche dieser Merkmale mit denen ähnlicher Verfahren (z. B. ob ein Wasserstoffbehandlungsverfahren oder ein Hydroisomerisierungschritt dem Anwendungsbereich der HDO bzw. des HDW zuzuordnen ist oder nicht) solche Probleme nicht auf eine fehlerhafte oder unvollständige Definition zurückzuführen, sondern darauf, dass die Sprache nicht allumfänglich jedes Detail von realen Gegenstände oder Verfahren erfassen kann – ein Problem, das bei einer breiten Definition der Merkmale noch deutlicher wird. Die Kammer schlussfolgerte, dass die Merkmale HDO und HDW für eineFachperson klar seien und dass Unklarheiten bei ihrer Abgrenzung von anderen ähnlichen Verfahren auf die inhärenten Grenzen der Fachsprache zurückzuführen seien.
Der Grundsatz, wonach ein breiter Anspruch nicht per se undeutlich ist, wurde auch in z. B. T 393/91, T 456/91, T 530/94, T 950/97, T 103/00, T 1173/03, T 1345/08, T 2220/09, T 2068/10, T 745/11, T 125/15, T 901/16, T 1821/16 und T 2676/16 bestätigt.
- T 2387/22
In T 2387/22 claim 1 according to auxiliary requests 9 to 11 defined the use of a Vacuum Metallised Pigment (VMP) in a flexographic ink formulation for providing the following technical effects: "fewer print defects, higher hiding and stronger colour and allowing a lower volume anilox". The respondent (patent proprietor) submitted that according to G 2/88, when a use claim defined technical purposes or effects, these were to be interpreted as functional features restricting the scope of protection.
According to the appellant (opponent) these functional features did not meet the requirement of clarity under Art. 84 EPC, since they were defined using relative terms as well as diffusely defined concepts. The respondent replied that it was a well-established practice of the boards to allow the definition of effects or purposes in non-medical use claims using broad and/or relative terms.
The board observed that there was no basis – be it in the case law or in the EPC – for concluding that the limiting functional features of a use claim are exempt from the clarity requirement under Art. 84 EPC or somehow exposed to lower standards in this respect. It however emphasised that – irrespective of whether a claim was directed to a use or to any other category of subject-matter – the mere breadth of protection did not in itself imply a lack of clarity. The decisive consideration was whether the feature(s) in question gave(s) rise, or could plausibly give rise, to legal uncertainty when assessing whether a particular subject-matter falls within or outside the scope of protection conferred by the claim.
Moreover, the board stated that, where the invention was based on the discovery of a new technical effect of a known entity (as in G 2/88 and G 6/88), it was generally accepted in practice to define that effect in correspondingly broad terms, provided the effect was sufficiently distinct to clearly delimit the scope of protection with respect to the prior art. The situation in the present case was, however, fundamentally different. The use claim did not seek to define distinct technical effects, but rather relative improvements in the achievement of such effects..
The board held that where a claimed invention is defined by the use of a known entity to achieve a known technical effect or purpose, and the alleged technical contribution lies in a relative improvement or enhancement of that effect or purpose, the requirement of clarity under Art. 84 EPC generally demands that the feature defining such relative improvement or enhancement be expressed in objectively verifiable terms, thereby ensuring legal certainty regarding the scope of protection. In these "relative-improvement" scenarios, any imprecise functional language could blur the distinction between claimed and known uses, giving rise to the very legal uncertainty that the clarity requirement is intended to prevent.
In the present case, the board concluded that no objective criteria were available for determining when the number of print defects, the degree of hiding, the colour intensity or the anilox volume could be regarded as sufficiently low or high for other uses to fall within or outside the scope of the claim. As a result, the subject-matter of claim 1 could not be assessed objectively in relation to the prior art, which gave rise to legal uncertainty and therefore failed to meet the clarity requirement of Art. 84 EPC.