4.2.3 Offensichtliche Berichtigung – Sofort erkennbar, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird
In J 5/06 erklärte die Juristische Beschwerdekammer mit Verweis auf die Entscheidung T 158/89 (die im Fall von zwei gleichermaßen plausiblen Möglichkeiten für den Prozentbereich eines Bestandteils eine Berichtigung nicht akzeptiert hatte), dass die Feststellung, ein vorgeschlagener Dokumentensatz sei ein wahrscheinlicher und geeigneter Ersatz, nicht dasselbe sei wie die Feststellung, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte. Letzteres impliziere, dass es nur einen einzigen plausiblen Ersatz gebe, und zwar den, den die Fachperson aus den Teilen der Anmeldung abgeleitet hätte, die die Offenbarung der Erfindung bildeten. Im vorliegenden Fall kam die Juristische Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass ein vollständiger Austausch der Anmeldungsunterlagen dagegen ganz offensichtlich den Weg für eine Fülle plausibler Ersatzmöglichkeiten ebnen würde. S. auch J 16/13 zum Ersatz der Anmeldungsunterlagen sowie T 15/09 und T 846/16 zur Berichtigung eines Merkmals in den vorliegenden Ansprüchen).
In T 955/92 hätten die Gründe, die der Beschwerdeführer dafür genannt habe, dass nur die beantragte Berichtigung beabsichtigt gewesen sein konnte, nicht auf dem allgemeinen Fachwissen am Anmeldetag beruht. Um zu dem Schluss zu gelangen, dass die beantragte Berichtigung die einzig physikalisch sinnvolle sei, müssten Versuche durchgeführt werden, für die mehr als allgemeines Fachwissen benötigt werde, und deren Ergebnisse hätten am Anmeldetag nicht zur Verfügung gestanden. Der Antrag auf Berichtigung wurde daher abgelehnt.
In T 438/99 wies die Kammer darauf hin, dass die Tatsache, dass ein Begriff oder Satz nicht zu verstehen oder zu deuten sei, weil er eine nicht zu lösende Unklarheit beinhaltet, nicht zwangsläufig bedeute, dass seine Streichung eine zulässige Änderung im Sinne von Art. 123 (2) EPÜ 1973 ist; dem unklaren Begriff verbleibe ein Rest an klarer Bedeutung, im vorliegenden Fall z. B. die Lehre einer bestimmten Richtung, deren Weglassung zu einer anderen technischen Lehre führe. Aus diesem Grund erfüllte die angebotene Berichtigung in Form einer ersatzlosen Streichung des Merkmals das zweite Erfordernis von R. 88 EPÜ 1973 (sofort erkennbar, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird) nicht.
T 1728/07 betrifft die Berichtigung eines Fehlers in einer Strukturformel für Oxazolin-Derivate. Die Kammer erinnerte daran, dass nach R. 139 Satz 2 EPÜ für die Fachperson sofort erkennbar sein muss, i) dass ein Fehler vorliegt und ii) wie dieser zu berichtigen ist. In Bezug auf das Erfordernis ii muss festgestellt werden, ob das berichtigte Merkmal unmittelbar und eindeutig aus dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung als Ganzem abgeleitet werden kann. Die Kammer betrachtete auch dieses Erfordernis als erfüllt.
In T 1508/08 kam die Kammer zum Schluss, dass die zweite für die Gewährbarkeit einer Korrektur nach R. 139 EPÜ erforderliche Voraussetzung (b) nicht erfüllt sei. Nach Ansicht der Kammer blieben in diesem Fall trotz Korrektur Unklarheiten nicht nur unaufgelöst, sondern es werden im Gegenteil sogar neue Unklarheiten hinzugefügt. Auch aus diesem Grund würde die Fachperson die vom Beschwerdeführer (Patentinhaber) durchgeführte Korrektur nicht in Betracht ziehen. Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers annimmt, dass die Fachperson die vom Beschwerdeführer vorgenommene Korrektur in Betracht gezogen hätte, würde diese Korrektur nicht die einzig mögliche Korrektur darstellen sondern eine von mindestens drei in Frage kommenden Korrekturen.
In T 455/09 urteilte die Kammer, dass die Fachperson im vorliegenden Fall nicht mit Sicherheit eine der beiden Möglichkeiten ausschließen konnte, sodass nicht sofort und eindeutig erkennbar war, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wurde. Ein anderer Fall, in dem andere Berichtigungen gleichermaßen möglich waren, ist in T 923/13 beschrieben.
In T 141/14 stellte die Kammer fest, dass die Änderung des Merkmals "Vanadium" in "Vanadiumoxid" die Erfordernisse von R. 139 EPÜ nicht erfüllte, weil die vorgeschlagene Berichtigung nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellte, auf die die Fachperson kommen würde. Solange mindestens eine weitere Möglichkeit der Berichtigung gegeben sei, sei das folgende Kriterium in R. 139 EPÜ nicht erfüllt: "so muss die Berichtigung derart offensichtlich sein, dass sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird".
In T 244/19 hatte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) argumentiert, bei dem Rückbezug des ursprünglichen Anspruchs 6 auf nur einen der beiden unabhängigen Produktansprüche habe es sich um einen offensichtlichen Fehler gehandelt. Aus Sicht der Kammer war jedoch nicht sofort erkennbar, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte.