2.5. Schriftliche Erklärungen
2.5.1 Schriftliche Erklärungen unter Eid und eidesstattliche Versicherungen
Artikel 117 (1) g) EPÜ lässt die (in der Praxis eher unübliche) Abgabe schriftlicher Erklärungen unter Eid als Beweismittel zu. Da in Verfahren vor dem EPA ohnehin jede Art von Beweis zulässig ist (ein seit Langem gültiges Prinzip, das mehrmals bestätigt wurde, zuletzt in G 2/21), sind andere (in der Praxis häufigere), weniger feierliche Arten von schriftlichen Erklärungen wie eidesstattliche Erklärungen in den Verfahren vor dem EPA ebenfalls möglich. Es obliegt dann dem zuständigen Organ, deren Beweiskraft im Einzelfall zu beurteilen. Eine Versicherung ist eine schriftliche Erklärung eines Zeugen; ihr Ziel besteht insbesondere darin, eine Zeugenvernehmung zu vermeiden. Das zuständige Organ kann dennoch entscheiden, beispielsweise auf Antrag eines Beteiligten die Vernehmung des Verfassers der Erklärung anzuordnen. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist von "déclarations écrites", "déclarations sur l'honneur", "attestations", "affidavits", "statutory declarations", "unsworn statements", "eidesstattlichen Versicherungen" oder "eidesstattlichen Erklärungen" die Rede.
Mit eidesstattlichen Erklärungen befassen sich auch T 443/93 und T 563/02. In der französischsprachigen Entscheidung T 2338/13 wird für Affidavits ausdrücklich der Begriff "attestations" gebraucht. In der Entscheidung T 474/04 (ABl. 2006, 129; Verfahrenssprache: Englisch) ist von "declaration in lieu of an oath" und "unsworn witness declaration" für eine "eidesstattliche Versicherung" die Rede, in T 1231/11 wird eine eidesstattliche Erklärung als "Affidavit" bezeichnet und in T 703/12 wird eine eidesstattliche Versicherung als "statutory declaration" bezeichnet. In Verfahren vor dem EPA kann bereits eine einfache Erklärung ein zulässiges Beweismittel im Sinne von Art. 117 (1) EPÜ sein (T 474/04, ABl. 2006, 129).
In T 939/14 stellte die Kammer fest, dass allgemein der Einwand, "affidavits" erfüllten nicht die Bedingungen von Art. 117 (1) g) EPÜ, fehlgehe, da nach der ständigen Praxis der Beschwerdekammern Erklärungen von Zeugen – unabhängig von ihrer Form oder dem Verfahren ihrer Abgabe – nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung behandelt werden. Siehe auch vorstehend T 1117/16 sowie nachfolgend T 41/19.
In R 3/10 berücksichtigte die Große Beschwerdekammer unterzeichnete Erklärungen von Personen, die der mündlichen Verhandlungen beigewohnt hatten.
In T 915/12 urteilte die Kammer, es lägen keine hinreichenden Beweise dafür vor, dass D16 – ein Auszug aus einer Enzyklopädie – der Öffentlichkeit vor dem beanspruchten Prioritätstag des Streitpatents (5. Februar 2001) zugänglich gemacht worden sei. Die Angaben in D16 zu Druck (2000) und Urheberrecht (1999) konnten für sich alleine genommen nicht die Zugänglichkeit vor Anfang 2001 beweisen. Die handschriftliche Anmerkung von Frau S. – der Leiterin der Abteilung Sammlungen der Universität – auf dem Deckblatt erfüllte nicht die Anforderungen an Form und Inhalt, die gewöhnlich für eidesstattliche Versicherungen oder ähnliche Urkunden gelten. Siehe jedoch auch T 649/20 zum Nachweis des Veröffentlichungsdatums eines wissenschaftlichen Beitrags in einer Fachzeitschrift hinsichtlich der möglichen Berücksichtigung von D1 (Druckversionen eines Datenbankeintrags der Zeitschrift ohne genaues Veröffentlichungsdatum außer der Jahreszahl) als Stand der Technik (Zugänglichkeit vor dem Prioritätstag wurde vorliegend bejaht), insbesondere auf Basis eines Datenbankauszugs einer Bibliothek für Medizin (D14), der zur Bestimmung des Eingangsdatums der betreffenden Zeitschrift eingereicht wurde. Auch weitere Beweise wie eine E-Mail-Korrespondenz zwischen der Chefredakteurin und dem Chefherausgeber waren vorgelegt worden, die beide unabhängig voneinander und übereinstimmend das offizielle Datum der Zeitschrift und ihrer Online-Veröffentlichung bestätigten. Die Kammer entschied, dass bereits D14 einen ausreichenden Nachweis liefere. Der Bibliothekar, der die Zeitschrift entgegengenommen und in der Datenbank eingetragen hatte, war als Mitglied der Öffentlichkeit anzusehen (s. auch T 834/09).