4.3.7 Vorbringen, das im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen wäre oder dort nicht mehr aufrechterhalten wurde – Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK
In T 205/22 betonte die Kammer, dass für den Patentinhaber keine Notwendigkeit bestanden hatte, im Einspruchsverfahren Hilfsanträge einzureichen, nachdem der Einspruch ja zurückgewiesen worden war, und dass ein zu Beginn des Beschwerdeverfahrens eingereichter Antrag nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden könne, dass er früher hätte eingereicht werden müssen (s. T 141/20, T 1758/21 und T 2202/21). Siehe auch T 972/21.
In T 290/20 reichte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung des ebenfalls Beschwerde führenden Einsprechenden einen neuen Hilfsantrag 5 ein in dem Versuch, einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit auf der Grundlage eines Dokuments auszuräumen, das die Einspruchsabteilung nicht zugelassen hatte, dessen Zulassung aber im Beschwerdeverfahren erneut beantragt worden war. Die Kammer verwies darauf, dass der Patentinhaber weder vor der Einspruchsabteilung noch mit seiner Beschwerdebegründung Grund gehabt hatte, einen entsprechenden Antrag einzureichen. Die Ausräumung des auf dem betreffenden Dokument basierenden Einwands war erst notwendig geworden, als der Einsprechende es mit seiner Beschwerdebegründung erneut einreichte.
Auch in T 3240/19 befand die Kammer, dass für den Beschwerdegegner (Patentinhaber) keine Notwendigkeit bestanden hatte, in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung irgendwelche Anträge zur Überwindung des neuen Einwands nach Art. 123 (2) EPÜ einzureichen, der an dem gemäß R. 116 EPÜ festgelegten Stichtag erhoben worden war, schließlich hatte die Einspruchsabteilung entschieden, dass der Einwand der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang gemäß dem Hauptantrag nicht entgegenstand. Siehe auch T 218/20 (vorstehend zusammengefasst).
In T 141/20 hob die Kammer hervor, dass es nach Art. 12 (6) VOBK nicht ausreichend ist, dass die Anträge im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden können. Dass Anträge "vorzubringen gewesen wären", bedürfe eines Anlasses. Einen solchen vermochte die Kammer aber nicht zu erkennen, da die Einspruchsabteilung im Verlauf des Verfahrens deutlich gemacht hatte, dass sie dem vom Einsprechenden vorgebrachten Einwand nicht folgte. Die Kammer stellte klar, dass das Vorhandensein des Einwands im Verfahren als solches nicht als Anlass ausreiche. Es könne dem Patentinhaber im Einspruchsverfahren nicht zugemutet werden, grundsätzlich jedem vorgebrachten Einwand und jeder Permutation von Einwänden durch die Einreichung von Hilfsanträgen zu begegnen. Dies würde auch eine ungebührliche Belastung für die Einspruchsabteilung und die anderen Verfahrensbeteiligten darstellen. In die Zulassungsentscheidung der Kammer muss einfließen, ob im Einspruchsverfahren eine Notwendigkeit bestand, den Antrag einzureichen.
In T 938/20 sah die Kammer in dem kurz vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer als Hilfsantrag 105 eingereichten neuen Hauptantrag des Beschwerdeführers eine angemessene Reaktion auf den Einwand des Einsprechenden 2 nach Art. 83 EPÜ in dessen Beschwerdeerwiderung. Der Einsprechende 2 hatte diesen Einwand bereits in seiner Einspruchsschrift erhoben, doch war der Einwand in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung offenbar nicht erörtert worden (obwohl er auch für einen damals streitigen Antrag relevant gewesen wäre). Die Kammer berücksichtigte die von den Einsprechenden im Einspruchsverfahren erhobene Vielzahl von Einwänden sowie die Tatsache, dass es anscheinend keinen klaren Hinweis gab, dass ein solcher Antrag zusätzlich zu den zahlreichen, vor der Einspruchsabteilung bereits eingereichten Anträgen hätte vorgelegt werden müssen, da die Einspruchsabteilung diesen Einwand hinsichtlich der Erfordernisse des Art. 83 EPÜ scheinbar nicht für maßgeblich hielt. Folglich gab es keinen Grund, ihn in Anbetracht von Art. 12 (6) VOBK nicht zuzulassen.
- T 1865/23
Im Verfahren T 1865/23 hatte die Kammer die Frage zu prüfen, ob der erstmals mit der Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin eingereichte Hilfsantrag 10, der somit als Änderung im Sinne von Art. 12 (4) VOBK angesehen wurde, schon im Einspruchsverfahren hätte eingereicht werden müssen. Die Einsprechenden argumentierten, dies sei der Fall, da die getätigten Änderungen Einwände beträfen, welche schon in der Einspruchsschrift erhoben worden seien. Sie verwiesen in diesem Zusammenhang auf T 1188/16.
Die Kammer teilte die Auffassung der Einsprechenden jedoch nicht. Sie hob hervor, dass die zuständige Kammer in T 1188/16 befand, dass der Hauptantrag schon im Einspruchsverfahren hätte eingereicht werden müssen, da die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung eine unzulässige Änderung bemängelt hatte. Im vorliegenden Fall sei der Sachverhalt jedoch anders..
Die Kammer erläuterte, dass die Einsprechende 1 innerhalb der Einspruchsfrist zwar u.a. bemängelt hatte, dass eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliege. In ihrer Erwiderung darauf hatte die Patentinhaberin dies aber bestritten und die Einspruchsabteilung hatte ihr in ihrer vorläufigen Meinung zugestimmt und diese Ansicht auch in der angefochtenen Entscheidung vertreten. Nach Ansicht der Kammer gab es daher keinen Grund, den Hilfsantrag 10 schon im Einspruchsverfahren einzureichen. Da die Ansprüche 1 und 3 des Hilfsantrags 10 die gemäß Art. 123 (2) EPÜ gegen den Hauptantrag erhobenen Einwände beheben konnten, ließ die Kammer den Hilfsantrag 10 zum Beschwerdeverfahren gemäß Art. 12 (4) VOBK zu.