4.4.5 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK – neue Anträge
Ein immer wiederkehrendes Thema, mit dem sich die Kammern bei der Anwendung von Art. 13 (1) VOBK beschäftigt haben, sind Anträge, in denen der beanspruchte Gegenstand durch Streichung von Ansprüchen oder Alternativen in Ansprüchen beschränkt wurde. In diesen Fällen stellt sich zunächst die Frage, ob es sich überhaupt um eine Änderung im Sinne von Art. 13 VOBK handelt, was mehrheitlich bejaht wird. Für Entscheidungen zu diesem Thema siehe Kapitel V.A.4.2.3 d). Entscheidungen über die Zulassung nach Art. 13 (1) VOBK sind im Folgenden zusammengefasst. Für Entscheidungen, die sich mit durch Streichungen von Ansprüchen und Anspruchsalternativen beschränkten Anträgen befassen und die in der letzten Phase des Beschwerdeverfahrens eingereicht wurden, siehe Kapitel V.A.4.5.4 j).
In T 1597/16 lag die Zulassung des vor Inkrafttreten der VOBK in ihrer Fassung von 2020 eingereichten neuen Hauptantrags im Ermessen der Kammer nach Art. 13 (1) VOBK (der aufgrund der Übergangsbestimmungen anstelle von Art. 13 (2) VOBK anwendbar war). Nach Auffassung der Kammer hatte der Beschwerdegegner keine triftigen Gründe dafür angegeben, dass er diese Anspruchsänderung erst in der Endphase des Beschwerdeverfahrens eingereicht hatte. Die erwähnten Einwände waren bereits seit der Anfangsphase des Beschwerdeverfahrens bekannt. Nichtsdestotrotz entschied die Kammer, den neuen Hauptantrag aus folgenden Gründen in das Verfahren zuzulassen: Durch die vorgenommene Beschränkung des beanspruchten Gegenstandes auf zwei von drei im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Alternativen war kein anderer sachlicher bzw. patentrechtlicher Streitgegenstand entstanden. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) war sofort in der Lage, einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu formulieren, und konnte im Übrigen auf das schriftliche Vorbringen, das dem erstinstanzlichen Vorbringen entsprach, verweisen. Zudem erschien der Kammer der neue Antrag prima facie gewährbar, weil er alle noch offenen Einwände auszuräumen schien, ohne neue Fragen aufzuwerfen.
In ähnlicher Weise ließ die Kammer in T 494/18 den Hilfsantrag 8 zu (der sich ausschließlich auf Verfahrensansprüche bezog, da die Produkt- und Verwendungsansprüche gestrichen worden waren) und berücksichtigte dabei unter anderem, dass der Beschwerdegegner für die Einreichung der Änderung erst in dieser Phase des Verfahrens Gründe angegeben hatte, dass sich der nächstliegende Stand der Technik für die Erörterung des einzigen Einwands des Einsprechenden gegen die erfinderische Tätigkeit nicht geändert hatte und dass die zusätzlichen Ausführungen der Beteiligten zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit lediglich ihre früheren Argumente spezifizierten. Die Kammer war auch der Ansicht, dass das Verfahren dieses neuen Antrags nach Art. 123 (2) und 56 EPÜ prima facie eindeutig gewährbar war.
In T 682/16 stellte die Kammer fest, dass der Beschwerdegegner mit der Streichung bestimmter Ansprüche auf sämtliche vom Beschwerdeführer und von der Kammer aufgeworfenen Fragen einging. Der Antrag, der zudem keine neuen Einwände hervorrief und zur Effizienz des Verfahrens beitrug, wurde nach Art. 13 (1) VOBK zugelassen (da Art. 13 (2) VOBK in der Fassung von 2020 noch nicht galt). Siehe auch T 1439/16 und T 2897/18 (die sich beide mit der Verfahrensökonomie befassen).
In T 608/20 gelangte die Kammer unter den Umständen des Falles zu einem anderen Ergebnis. Sie vertrat die Auffassung, dass der auf die Verfahrensansprüche beschränkte Antrag bereits im erstinstanzlichen Verfahren oder spätestens zusammen mit den Beschwerdegründen hätte eingereicht werden können und müssen, und war nicht der Ansicht, dass die Umstände des Beschwerdeverfahrens seine Zulassung rechtfertigten (Art. 12 (6), 13 (1) Satz 2 VOBK). Insbesondere vertrat die Kammer die Auffassung, dass in Anbetracht der Umstände des Einspruchsverfahrens die Verweigerung einer weiteren Möglichkeit zur Einreichung eines geänderten Antrags am Nachmittag des dritten Tags der mündlichen Verhandlung nicht die Zulassung weiterer Hilfsanträge in einer späten Phase des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen kann.