4.4.6 Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK – neue Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
Wie in T 1213/19 date: 2022-09-23 dargelegt, können neben den in Art. 13 (1) VOBK genannten Kriterien nach ständiger Rechtsprechung weitere entscheidende Kriterien für die Zulassung verspätet eingereichter Dokumente gemäß Art. 13 (1) VOBK ihre Prima-facie-Relevanz und die Frage sein, ob sie einen komplexen Sachverhalt darstellen (T 731/16, T 2796/17 und T 310/18).
(i) Neuer Einspruch, der sich auf zuvor erörterte Dokumente stützt
In T 310/18 erhob der Beschwerdeführer (Einsprechende) erstmals etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung einen Einwand bezüglich eines Mangels an erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D2 unter Berücksichtigung von D15. Da ein Angriff ausgehend von D15 unter Berücksichtigung von D2 jedoch bereits in der angefochtenen Entscheidung behandelt worden war, war der relevante technische Inhalt dieser Dokumente in den früheren Phasen des Beschwerdeverfahrens umfassend erörtert worden. Die Kammer war der Ansicht, dass mit dem Ausgehen von D2 anstelle von D15 keine komplexen Gegenstände eingeführt wurden, sondern lediglich auf eine Kombination der zuvor erörterten Merkmale zurückgegriffen wurde. Unter diesen Umständen entschied die Kammer, den Einwand im Verfahren zuzulassen (Art. 13 VOBK 2007, Art. 13 (1) und (3) VOBK, da Art. 13 (2) VOBK in der Fassung von 2020 noch nicht anwendbar war).
In der Sache T 140/15 wurde jedoch ein spät eingereichter neuer Einwand, der sich auf eine bekannte Kombination von Dokumenten stützte, nicht zugelassen. Die Kammer fand, dass der Umstand, dass ein Einwand basierend auf der Kombination derselben Dokumente, aber in umgekehrter Reihenfolge bereits im Verfahren vorgebracht worden war, nichts daran änderte, dass es sich hier um einen neuen Einwand handelte, dessen Erörterung nicht zwangsläufig analog zum früheren Einwand verlaufen muss.
(ii) Bloße Weiterentwicklung eines früheren Vorbringens
In T 3212/19 wurde die Einreichung von Dokumenten, die bereits mit den Einspruchsgründen eingereicht worden waren, sich aber noch nicht im Beschwerdeverfahren befanden, im betreffenden Fall als bloße Weiterentwicklung des Vorbringens des Beschwerdeführers angesehen. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass diese Dokumente lediglich der Erklärung der Funktionsweise der Vorrichtungen dienten, die in Dokumenten beschrieben wurden, die bereits Gegenstand des Verfahrens waren. Daher sah die Kammer keinen Grund, sie nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen. Ähnlich T 2271/17 (neue Tatsachen in Form von Verweisen auf bestimmte Dokumente, bloße Weiterentwicklung von zuvor dargelegten Einwänden, angemessene Zeit für den Beschwerdegegner, um darauf zu reagieren).
(iii) Beispiele, in denen ein Vorbringen eine neue Komplexität eingeführt hat und nicht zugelassen wurde
In T 2227/15 kam die Kammer in Anwendung von Art. 13 (1) VOBK und Art. 13 VOBK 2007 sowie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zu dem Schluss, dass eine Zulassung des neuen Angriffs auf die erfinderische Tätigkeit zum Verfahren nicht nur die Komplexität der zu erörternden Angelegenheit wesentlich erhöhen und erheblich verändern würde, sondern auch der gebotenen Verfahrensökonomie zuwiderlaufen und den Beschwerdegegner überraschen würde.
In T 1303/18 entschied die Kammer, die Verteidigung des Beschwerdeführers (Patentinhabers), die dieser erstmals nach Einreichung der Beschwerdegründe und der Erwiderungen unter Berufung auf das Recht auf Teilpriorität vorgebracht hatte, nicht zum Verfahren zuzulassen. Die erforderliche neue Tatsachenbeurteilung wäre komplex gewesen, und der Beschwerdeführer hatte keine Rechtfertigung für diese späte Änderung geliefert.
Siehe auch z. B. T 2796/17 (zusammengefasst in Kapitel V.A.4.4.6 c) (iv)) und T 1217/17.