4.5.4 Zulassung neuer Anträge
(i) Vorläufige Einschätzung keine Aufforderung zu weiterem Vorbringen
Der Hauptzweck einer vorläufigen Einschätzung der Kammer besteht darin, den Rahmen für die anberaumte mündliche Verhandlung vorzugeben, d. h. die mündliche Verhandlung vorzubereiten, und stellt keine Aufforderung an die Beteiligte dar, weiteres Vorbringen oder Anträge einzureichen (T 2703/16 mit Verweis auf T 1459/11). Siehe auch z. B. T 752/16 (zusammengefasst in Kapitel V.A.4.5.4 h), T 995/18, T 2271/18, T 121/20, T 920/20.
In T 2778/17 argumentierte der Beschwerdeführer (Anmelder), dass eine Reaktion auf die vorläufige Auffassung der Kammer möglich sein sollte. Aus Gründen der Verfahrensökonomie wäre es nicht sachdienlich, im Voraus eine Vielzahl von Hilfsanträgen einzureichen, ohne die Meinung der Kammer zu kennen. Die Kammer stimmte dem nicht zu. Sie wies darauf hin, dass das Grundprinzip für die dritte Stufe des Konvergenzansatzes darin besteht, dass in dieser Phase des Verfahrens Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nicht mehr berücksichtigt werden und dass nur eine begrenzte Ausnahme vorgesehen ist. Die Kammer konnte keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, die der Beschwerdeführer mit stichhaltigen Gründen gerechtfertigt hätte. Der Beschwerdeführer hatte lediglich erklärt, dass er es für wünschenswert und gerechtfertigt hielt, seine Anträge zu ändern, nachdem ihm die vorläufige Auffassung der Kammer in der Sache zur Verfügung gestellt wurde.
(ii) Erfordernis, auf den Vortrag der Gegenpartei zu reagieren
Im Beschwerdeverfahren hat jeder Beteiligte seinen Fall am Anfang des Verfahrens zu präsentieren und dabei gegebenenfalls umgehend auf den Vortrag der Gegenseite zu reagieren und nicht erst dann, wenn er sich mit einer negativen Meinung einer Beschwerdekammer konfrontiert sieht (T 995/18). Siehe auch T 1937/19, T 924/22.
In T 121/20 reichte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) in Reaktion auf die vorläufige Einschätzung der Kammer Hilfsantrag 1 ein und argumentierte, dass aus besagter Einschätzung hervorgehe, dass unter den verschiedenen Einwänden zur unzulässigen Erweiterung des Beschwerdeführers nur einer überzeugend schien, und die Änderungen, die die anderen Einwände ausräumen sollten, nicht notwendig seien. Die Kammer merkte jedoch an, dass die vorläufige Einschätzung den Beteiligten vor allem Gelegenheit geben soll, ihre Argumente sorgfältig vorzubereiten, nicht aber, weitere Eingaben zu machen. Die Kammer fügte hinzu, dass es gegen den Grundsatz der Verfahrensgerechtigkeit verstoßen würde, wenn die Kammer einem Beteiligten erlauben würde, Vorteile aus der vorläufigen Einschätzung zu ziehen und sich dadurch in eine bessere Lage zu versetzen als mit der Position, die in Reaktion auf das Vorbringen der Gegenpartei vertreten wurde.