4.5.4 Zulassung neuer Anträge
In T 847/20 wurde die Zulassung eines mit der Beschwerdebegründung eingereichten Antrags vom Beschwerdegegner erst in der mündlichen Verhandlung infrage gestellt. Die Kammer war der Ansicht, dass der Einwand gegen die Zulassung dieses Antrags in der Erwiderung des Beschwerdegegners hätte vorgebracht werden müssen, und übte ihr Ermessen gemäß Art. 13 (2) RPBA aus, ihn nicht in das Verfahren zuzulassen.
In T 1774/21 hatte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung eine angeblich neue Angriffslinie gegen ein Merkmal des Hauptantrags (Patent wie aufrechterhalten) vorgebracht. Der Beschwerdegegner hatte erst in seiner Antwort auf die Mitteilung der Kammer nach Art. 15 (1) RPBA beantragt, diese Angriffslinie nach Art. 12 (2), (4) und (6) RPBA nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Kammer lehnte diesen Antrag ab und schloss sich dem Argument des Beschwerdegegners nicht an, sie sei von Amts wegen verpflichtet, über die Zulassung zu entscheiden. Sie führte aus, daß eine Kammer in der Tat von Amts wegen die Frage prüfen kann, ob ein Einwand "verspätet" eingereicht wurde, da sie nicht auf die von den Beteiligten vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Argumente und ihre Anträge beschränkt ist (Art. 114 (1) Satz 2 EPÜ). Außerdem gebe Art. 114 (2) EPÜ der Kammer in der Tat die Befugnis, Tatsachen oder Beweismittel, die nicht rechtzeitig vorgebracht wurden, "nicht zu berücksichtigen". Die Tatsache jedoch, dass Art. 114 (2) EPÜ besagt, dass das EPA dies "nicht braucht", bedeutet auch, dass eine Kammer nicht von Amts wegen verpflichtet ist, diese Frage zu prüfen. Eine solche Verpflichtung lasse sich auch nicht aus dem Grundsatz der Prüfung von Amts wegen nach Art. 114 (1) Satz 1 EPÜ ableiten, da dieser Grundsatz im Einspruchsbeschwerdeverfahren generell restriktiver anzuwenden sei (G 9/91, ABl. 1993, 408). Die Kammer stimmte der Entscheidung T 1006/21 in diesem Punkt nicht zu.
Zur Frage, ob ein Antrag auf Nichtzulassung eines neuen Vorbringens, der nach der Anfangsphase des Beschwerdeverfahrens gestellt wird, überhaupt eine Änderung des Beschwerdefalls darstellt, siehe Kapitel V.A.4.2.3 j).