4.5.5 Zulassung neuer Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
In mehreren Entscheidungen betonten die Kammern die Bedeutung einer direkten Antwort auf schriftliches Vorbringen des anderen Beteiligten, insbesondere auf die Beschwerdeerwiderung. Es obliegt jedem Beteiligten, alle Einwände, die er für relevant hält, zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Verfahrens vorzubringen (s. z. B. T 2271/17).
In T 1756/16 rechtfertigte nach Ansicht der Kammer der Umstand, dass der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte Hilfsantrag 1 in Reaktion auf die Mitteilung nach Art. 15 (1) VOBK nochmals geringfügig geändert worden war, den danach eingereichten, neuen Einwand (mangelnder erfinderischer Tätigkeit) des Beschwerdeführers nicht, da der neue Hilfsantrag 1 inhaltlich dem alten entsprach und der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt hatte, auf dessen Einreichung zu reagieren. Die Kammer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die neue Verfahrensordnung den Kammern auferlegt, eine Ladung in Inter-partes-Verfahren frühestens zwei Monate nach Erhalt der Beschwerdeerwiderung zu versenden (Art. 15 (1) VOBK); nur einen Monat nach Erhalt seit 1. Januar 2024, s. ABl. 2023, A103). Ziel dieses zeitlichen Ablaufs ist es, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, auf die schriftliche Erwiderung zu reagieren.
Auch in T 2843/19 befand die Kammer, dass der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe vorgebracht hatte, warum die Replik auf die in der Beschwerdeerwiderung enthaltenen Argumente nicht in direkter Reaktion auf diese erfolgt war, sondern erst kurz vor der mündlichen Verhandlung. Wie die Kammer hervorhob, obliegt es gemäß der VOBK den Beteiligten, ihren Vortrag im Verfahren so rechtzeitig vorzubringen, dass die Beschwerdekammer ihn bereits bei Abfassung des Ladungsbescheids berücksichtigen kann. Soweit es sich um die Antwort auf Angriffe bzw. Hilfsanträge handelt, die nicht bereits Gegenstand der angegriffenen Entscheidung waren, sondern vom Beschwerdegegner in der Beschwerdeerwiderung unterbreitet wurden, stellt eine Replik hierauf für den Beschwerdeführer das geeignete Mittel der Wahl dar. Die Kammer wies das Argument zurück, es sei nicht zumutbar, Kaskaden von Argumentationslinien im Hinblick auf jede denkbare Einschätzung der Kammer vortragen zu müssen. Im zweiseitigen Beschwerdeverfahren trifft die Beteiligten die Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung, aus Gründen der Fairness gegenüber der anderen Partei, aber auch um das Verfahren innerhalb einer angemessenen Verfahrensdauer zum Abschluss zu bringen.
In T 2271/17 erhob der Beschwerdeführer (Einsprechende) erst in der mündlichen Verhandlung einen neuen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den Hilfsantrag 3, der bereits mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereicht worden war. Die Kammer machte deutlich, dass es in der Verantwortung des Beschwerdeführers liegt, sich unabhängig davon, ob die Einschätzung der Kammer (die das neue Vorbringen ausgelöst hatte) vorhersehbar ist, darauf vorzubereiten, dass die Kammer hinsichtlich eines bestimmten Einwands gegen ihn entscheiden kann, und daher möglichst frühzeitig im Verfahren alle Einwände einzureichen, die er für relevant erachtet.