4.5.5 Zulassung neuer Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
(i) Keine Berechtigung, zu jedem Zeitpunkt gegen Änderungen des Patents Einwände gemäß Artikel 123 (2) EPÜ und Artikel 84 EPÜ zu erheben
In T 482/18 äußerte der Beschwerdeführer (Einsprechende) im Beschwerdeverfahren erstmals in der mündlichen Verhandlung Einwände gemäß Art. 123 (2) EPÜ und Art. 84 EPÜ gegen einen Begriff in den Ansprüchen des Hauptantrages, der mit dem Hilfsantrag identisch war, auf dessen Grundlage die Einspruchsabteilung das Patent aufrechterhalten hatte. Vor der Einspruchsabteilung hatte der Einsprechende das betreffende Merkmal nicht nach Art. 123 (2) EPÜ angegriffen, einen diesbezüglichen Klarheitseinwand wies die Einspruchsabteilung zurück. Die Argumente des Einsprechenden für die Zulassung dieser Änderung des Beschwerdevorbringens wies die Kammer zurück. Insbesondere konnte die Kammer aus Art. 114 EPÜ 1973 (identisch mit Art. 114 EPÜ) eine grundsätzlich absolute Berechtigung, solche Einwände unter allen möglichen Umständen und zu jedem Zeitpunkt geltend zu machen, oder gar die von der Einsprechenden geltend gemachte Verpflichtung der Kammer zur Ermittlung von Amts wegen, nicht ableiten.
(ii) Hohe Zahl von Hilfsanträgen nicht generell eine Rechtfertigung für späte Einreichung
In T 2964/18 wies die Kammer das Argument des Beschwerdeführers zurück, dass seine neuen Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit, die erst in der mündlichen Verhandlung erhoben wurden, im Hinblick auf die hohe Zahl von Hilfsanträgen zugelassen werden sollten. Nach Ansicht der Kammer war im vorliegenden Fall die Zahl der zusammen mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge (nämlich siebzehn) nicht übermäßig hoch, insbesondere angesichts der zahlreichen Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit, die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung erhoben hatte. Tatsächlich hatte der Beschwerdeführer sieben Dokumente als potenziell nächstliegenden Stand der Technik angegeben.
Ebenso sah die Kammer in T 2391/18 entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine unüberwindbare oder unzumutbare Aufgabe darin, 15 Hilfsanträge zu behandeln, die rechtzeitig (mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung) eingereicht worden waren und eine begrenzte Zahl genau definierter Änderungen enthielten, die zudem in den verschiedenen Hilfsanträgen wiederholt und kombiniert wurden – einschließlich der bloßen Streichung erteilter Ansprüche in einigen Fällen. Somit hätten die Angriffe auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit des dritten Hilfsantrags (jetzt Hauptantrag) in einer rechtzeitigen Antwort auf die Einreichung erfolgen können und sollen.
(iii) Verspätet vorgebrachter Einwand, der ebenso für frühere Anträge gegolten hätte
In T 1771/17 erhob der Beschwerdeführer (Einsprechende) einen Neuheitseinwand gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags 2B, der als legitime Reaktion auf die vorläufige Einschätzung der Kammer eingereicht worden war und zugelassen wurde. Die Kammer stellte fest, dass der Hilfsantrag 2B auf einem Antrag basierte, der bereits in der Akte enthalten war und gegen den der Beschwerdeführer im schriftlichen Verfahren keinen Einwand erhoben hatte. Da der neue Neuheitseinwand ebenso für den früheren Antrag gegolten hätte und der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe dafür nannte, warum der Einwand nicht früher eingereicht worden war, entschied die Kammer, ihn nicht zu berücksichtigen.
(iv) Neuer Einwand oder neues Argument auf der Grundlage von Feststellungen zu einer Teilanmeldung
In T 1266/19 erinnerte die Kammer daran, dass nach ständiger Rechtsprechung Verfahren gegen eine Stamm- und eine Teilanmeldung gesonderte, voneinander unabhängige Verfahren sind. Somit waren die Tatsachen, Beweismittel und Ausführungen, die in diesem Verfahren vorgebracht oder eingereicht wurden, nicht automatisch Teil des Verfahrens zur Stammanmeldung und umgekehrt. Aus Entscheidungen zu einem anderen Fall oder darin vorgebrachten Argumenten können keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Art. 13 (2) VOBK abgeleitet werden. Siehe auch Kapitel II.F.4.1.1 und II.F.4.1.5.