4.3. Artikel 112a (2) c) EPÜ – angeblicher schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ
4.3.5 Keine Verpflichtung, eine Entscheidung im Voraus eingehend zu begründen
Nach der ständigen Rechtsprechung muss eine Kammer den Beteiligten nicht im Voraus alle denkbaren Argumente darlegen, die für oder gegen einen Antrag sprechen (R 1/08 unter Verweis auf G 6/95, ABl. 1996, 649; s. z. B. R 13/09, R 18/09, R 4/13, R 5/15, R 6/16, R 9/18, R 25/22). Mit anderen Worten haben die Beteiligten keinen Anspruch darauf, vorab Hinweise zu allen Entscheidungsgründen zu erhalten (s. beispielsweise R 12/09 vom 15. Januar 2010 date: 2010-01-15, R 15/09, R 4/11, R 18/12, R 2/13, R 9/14, R 7/15, R 8/17, R 14/21, R 20/22, R 4/23). Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht also nicht so weit, dass eine Kammer verpflichtet ist, den Parteien im Voraus mitzuteilen, wie und warum sie auf der Grundlage der entscheidenden diskutierten oder zumindest der voraussichtlich den Kern der Diskussion darstellenden strittigen Punkte zu ihrem Ergebnis kommen wird. Dies ist Teil der Begründung der schriftlichen Entscheidung (s. z. B. R 8/17, R 4/23). Dieser Grundsatz gilt auch für die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes und sogar die Ermittlung einer objektiven Aufgabe (R 8/19), die Auslegung einer Textstelle in einem Dokument des Stands der Technik, die nur einen Teil der Begründung ausmacht (R 19/11, R 15/12, R 16/13, R 15/21), und für Gründe jeglichen Grads von Allgemeinheit (R 10/17).
In R 8/19 befand die Große Beschwerdekammer, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör im Kontext des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes bedeutet, dass normalerweise eine Diskussion über den relevanten Stand der Technik, die Unterschiede zwischen dem Stand der Technik und der beanspruchten Erfindung und die technische Relevanz dieser Unterschiede stattfinden muss. Im Rahmen dessen, was im Laufe dieser Erörterungen angesprochen worden war, sollte es dem Entscheidungsorgan freistehen, den Aufgabe-Lösungs-Ansatz nach eigenem Ermessen anzuwenden und sogar eine objektive technische Aufgabe zu bestimmen, die während des Verfahrens nicht ausdrücklich als solche formuliert worden war.