3. Disziplinarangelegenheiten
3.2. Anwendbarkeit der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern
In D 16/95 wies die Kammer darauf hin, dass die Ausfertigung und Einreichung einer Übersetzung und die Einzahlung der Gebühren in der nationalen Phase in einem Vertragsstaat durch Art. 1 VDV umfasst werden, auch wenn es sich dabei nicht um Tätigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Patenterteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren handelt. Es handelt sich nämlich um Tätigkeiten in Verbindung mit einem europäischen Patent (vgl. Art. 65 EPÜ und Art. 141 EPÜ 1973), die grundsätzlich zum Aufgabenbereich eines zugelassenen Vertreters gehören. Dass diese Tätigkeiten durch die Vorschriften des Art. 1 VDV geregelt werden, rechtfertigt sich aber auch im Hinblick auf die Tatsache, dass es für Außenstehende (z. B. mit der Übersetzung einer Patentschrift Beauftragte) schwierig ist, zwischen Tätigkeiten eines zugelassenen Vertreters, die sich unmittelbar auf das Patenterteilungs-, Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren beziehen, und solchen, die diese Bedingung nicht erfüllen, zu unterscheiden. Siehe auch D 25/05.
Der Kammer in D 19/99 zufolge ergibt sich aus Art. 134 (1) und (4) EPÜ, dass zugelassene Vertreter grundsätzlich die einzigen sind, die in allen durch das EPÜ geschaffenen Verfahren handeln dürfen. Daher muss die von den Vertragsstaaten mit Art. 134 (8) EPÜ 1973 (Art. 134a (1) EPÜ) delegierte Disziplinargewalt notwendigerweise als auf ihre Tätigkeit als solche bezogen verstanden werden. Darüber hinaus ist es ein in der Rechtsprechung der Vertragsstaaten fest verankerter Rechtsgrundsatz, dass Vorschriften über Disziplinarstrafen, die die freie Berufsausübung einschränken, ebenso wie strafrechtliche Vorschriften eng auszulegen sind. Diese enge Auslegung ist auch notwendig, um Zuständigkeitskonflikte zwischen dem EPA und nationalen Disziplinarorganen zu vermeiden. Somit erstreckt sich die Disziplinargewalt der nach Art. 134 (8) EPÜ 1973 (jetzt Art. 134 (a) (1) EPÜ) eingerichteten Organe eindeutig nur auf die Tätigkeiten der zugelassenen Vertreter im Zusammenhang mit der Erteilung eines europäischen Patents. Darüber hinaus erfordert der Wortlaut von Art. 1 (1) VDV eine solche Auslegung. Nach dieser engen Auslegung ist es nicht möglich, dass die Texte, die Disziplinarstrafen verhängen, analog auch für andere Nebentätigkeiten gelten, die ein zugelassener Vertreter möglicherweise ausübt. Im vorliegenden Fall ging aus den Akten eindeutig hervor, dass sich alle unbezahlten Rechnungen (die Gegenstand der Beschwerde waren) nur auf britische Patente bezogen, ohne dass ein Zusammenhang mit einem europäischen Patent bestand. Daraus folgte, dass der Anmelder in einer anderen Eigenschaft als der eines europäischen Patentanwalts handelte.
Der Beschwerdeführer in D 1/22 argumentierte, dass die VDV anwendbar seien, obwohl die Anzeige eine Streitigkeit im Zusammenhang mit einem nationalen Patent betraf (das Patent wurde nicht gemäß den Anweisungen der Beschwerdeführer übertragen). Die Kammer stimmte dem nicht zu und stellte fest, dass die Zuständigkeit der Disziplinarorgane des epi und des EPA, wie sie in den VDV festgelegt ist, nicht jedes Verhalten und alle Tätigkeiten eines zugelassenen Vertreters abdeckt (s. D 19/99). Die Kammer wies darauf hin, dass in D 25/05 zwar betont wurde, dass die Befugnisse der Disziplinarorgane des epi und des EPA nicht ausschließlich auf Tätigkeiten als zugelassener Vertreter in Verfahren vor dem EPA beschränkt sind, diese Befugnisse jedoch nicht für Handlungen oder Tätigkeiten gelten, die nicht mit einem europäischen Patent zusammenhängen. Sowohl D 25/05 als auch D 16/95 betrafen die Einreichung einer Übersetzung und/oder die Zahlung von Gebühren nach dem EPÜ für die nationalen Teile eines erteilten europäischen Patents, wie im EPÜ vorgeschrieben (s. dieses Kapitel V.C.4.1). Während in D 1/22 das nationale Patent als Prioritätsanmeldung für ein europäisches Patent diente, ging es in der Anzeige nur um die Unterlassung einer Übertragung dieses nationalen Patents nach dem anwendbaren nationalen Recht. Die nationalen Teile des europäischen Patents, die die Priorität der nationalen Anmeldung beanspruchten, waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Anzeige bezog sich auch auf keine Bestimmung des EPÜ. Die Handlungen des Beschuldigten, auf die sich die Anzeige bezog, standen somit in keinem Zusammenhang zu einem europäischen Patent und den auf die nationalen Teile eines solchen Patents anwendbaren Bestimmungen des EPÜ (z. B. Art. 65 und 141 EPÜ). Der Umstand, dass der Beschuldigte ein zugelassener Vertreter war, begründete für sich genommen keinen Zusammenhang zwischen dem Sachverhalt der Anzeige und dem EPÜ.