7. Erfolgserwartung, insbesondere auf dem Gebiet der Gen- bzw. Biotechnologie
7.1. Angemessene Erfolgserwartung
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann eine Maßnahme als naheliegend im Sinne des Art. 56 EPÜ angesehen werden, wenn die Fachperson sie in der Erwartung einer gewissen Verbesserung oder eines Vorteils vorgenommen hätte (T 2/83, ABl. 1984, 265). Mit anderen Worten ist eine Lösung nicht nur dann naheliegend, wenn die Ergebnisse klar vorhersehbar sind, sondern auch dann, wenn realistisch mit einem Erfolg gerechnet werden kann (T 149/93). Es muss nicht nachgewiesen werden, dass der Erfolg einer in Betracht gezogenen Lösung für eine technische Aufgabe mit Sicherheit vorauszusehen war. Der Nachweis, dass eine Lösung naheliegend ist, gilt bereits als erbracht, wenn nachgewiesen wird, dass die Fachperson bei Befolgung der Lehre des Stands der Technik realistischerweise mit einem Erfolg rechnen konnte (T 249/88, T 1053/93, T 318/02, T 1877/08, T 2168/11, T 867/13, T 3103/19), was im Einzelfall zu bewerten ist.
In einigen Entscheidungen insbesondere auf dem Gebiet der Biotechnologie befasste sich die Kammer mit der Frage, ob es für die Fachperson jeweils naheliegend war, vorgeschlagene Verfahrensweisen, Wege oder Methoden mit einer angemessenen Erfolgserwartung auszuprobieren (T 60/89, ABl. 1992, 268). Weitere Informationen zum Begriff der Fachperson in der Biotechnologie sind unter Kapitel I.D.8.1.4 zu finden.
In T 2168/11 verwies die Kammer auf die Rechtsprechung, wonach die Erfolgserwartung von der Komplexität der zu lösenden technischen Aufgabe abhängt. Während man bei sehr anspruchsvollen Aufgaben, die eine Betrachtung sämtlicher von den Beschwerdegegnern (Patentinhabern) angezogenen, aber in Anspruch 1 nicht enthaltenen Merkmale erfordern, möglicherweise von vornherein mit großen Schwierigkeiten rechnet, sind weniger anspruchsvolle Aufgaben in der Regel mit einerhöheren Erfolgserwartung verbunden (s. T 192/06, T 782/07, T 688/14, T 967/16). In T 967/16 entschied die Kammer, dass die Fachperson bezüglich der beanspruchten Korrelation zwischen dem HLA-B*1502-Allel und der unerwünschten Arzneimittelwirkung SJS/TEN, die als Reaktion auf die OXC- oder LIC-Behandlung oder in Verbindung damit auftritt, von einer bis zu 100%igen, aber auch von einer gerade einmal 47%igen oder sogar noch geringeren Korrelation ausgehen kann, die selbst unter jenen Korrelationen liegt, die in Dokument 4 für andere weniger oder gar nicht mit CBZ assoziierte aromatische Antikonvulsiva angegeben sind. Insofern hielt die Kammer die formulierte technische Aufgabe für nicht sehr ehrgeizig, weswegen die Fachperson eine hohe Erfolgserwartung hätte.
In Einklang mit T 918/01 kam die Kammer in T 1577/11 zu dem Schluss, dass eine begründete Erwartung bestand, dass Anastrozol angesichts seiner gegenüber Tamoxifen besseren Wirksamkeit bei Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium auch die Behandlung von Brustkrebs im frühen Stadium im Vergleich zu Tamoxifen verbessern würde.
In T 1680/17 befand die Kammer, dass die Fachperson zur Bereitstellung einer Formulierung für die therapeutische Behandlung keine Formulierungen aus der Grundlagenforschung in Betracht gezogen hätte. Die Anforderungen an eine in der Grundlagenforschung verwendete Formulierung unterscheiden sich grundlegend von denen, die an eine bei Patienten eingesetzte Formulierung zu stellen sind.
In T 96/20 befand die Kammer, dass die Ankündigung eines detaillierten Protokolls für die klinische Prüfung der Sicherheit und Wirksamkeit eines konkreten Therapeutikums bei der Fachperson eine berechtigte Erfolgserwartung für dieses spezielle Therapeutikum weckt, sofern im Stand der Technik keine Beweise für das Gegenteil vorliegen. Der Kammer erschloss sich nicht, inwiefern die bloße Tatsache, dass seit Langem keine Myasthenia-gravis-Therapie zugelassen worden war, die Erfolgserwartung für die konkrete im Stand der Technik offenbarte klinische Prüfung schmälern sollte.
Die Kammer in der Sache T 1941/21 stellte fest, dass klinische Studien in der Regel basierend auf ermutigenden Resultaten aus präklinischen Experimenten eingeleitet würden. Folglich würde die Ankündigung eines Versuchsprotokolls für eine Phase-II-Studie für ein besonderes therapeutisches Mittel und eine Krankheit bei einer Fachperson möglicherweise eine angemessene Erfolgserwartung wecken. Die Kammer ergänzte jedoch, dass eine solche angemessene Erfolgserwartung für eine Situation zu verneinen sei, in der eine Fachperson von der Durchführung klinischer Studien abgehalten würde, etwa wenn der Stand der Technik Gründe dafür enthalte, die in der klinischen Studie in Betracht gezogene Lösung nicht weiterzuverfolgen, oder wenn er bei der Fachperson eine Misserfolgserwartung auslöse.
- T 0136/24
In case T 136/24, the therapeutic effect of claim 1 was the treatment of prostate cancer in the specified patient group. Claim 1 was intended to define a new treatment option for mCRPC patients in the form of a cabazitaxel-based combination treatment.
The phase III clinical study (TROPIC) presented in the application was addressed with very detailed reasons in respect of assessment of sufficiency of disclosure, novelty and inventive step. Concerning inventive step, given the TROPIC study as the starting point and the formulation of the technical problem in view of the claimed therapeutic effect being credible, the issue decisive for obviousness was whether the person skilled in the art would have had a reasonable expectation of success with regard to the experimental arm of the TROPIC study.
The opponents argued that, for a second medical use claim, where the prior art disclosed that a clinical study with the same active agent(s) for the same therapeutic indication had been proposed or was underway, a reasonable expectation of success was generally implied by the mere fact that the study had been authorised, unless there was some evidence of a dissuading teaching in the prior art. In other words, the announcement of a clinical study established a legal presumption of reasonable expectation of success. No dissuading element (negative pointer) was known in the prior art. In addition, the opponents mentioned positive pointers..
The board was not convinced. The skilled person's expectation of success had to be considered in particular in relation to the TROPIC study's primary endpoint, which was overall survival. Success in the context of a clinical study means meeting the primary endpoint. The board reviewed the large body of decisions dealing with reasonable expectation of success, including in cases of second medical use where clinical studies were announced in the prior art. This case law mainly focused on balancing positive and negative pointers. The probative value of a clinical study announcement always depended on the particular circumstances of the case. Thus, contrary to the opponents' argument, the analysis of the jurisprudence of the boards did not lead to the conclusion that ongoing clinical studies automatically establish a legal presumption of success..
The approval of a clinical study does, therefore, not necessarily imply an expected positive outcome. As a consequence, the question of whether there was a reasonable expectation of success must be answered on the basis of the specific circumstances of the case. The case in hand related to a new cancer drug used in a new indication, and the situation was complicated by the further issue of resistance to taxanes. The crucial issue was whether, in view of the available information in the prior art, the skilled person had a reasonable expectation that cabazitaxel in combination with prednisone would be effective to improve overall survival..
The board examined in detail the positive pointers (a) to (f) and on this occasion inter alia addressed that under usual circumstances, the fact that a phase III clinical trial was carried out might indeed provide a pointer indicating a successful development path of a new drug/new drug application, however in the case in hand, the usual path of drug development was only poorly reflected. The board also stated that the fact that a study was nearing completion per se, in the absence of knowledge of the parameters selected for monitoring, was neither a positive nor a negative pointer when assessing expectation of success. In conclusion, the facts brought forward by the opponents as positive pointers would not have given rise to a reasonable expectation of success.