7. Erfolgserwartung, insbesondere auf dem Gebiet der Gen- bzw. Biotechnologie
7.2. Naheliegender Versuch
In T 296/93 vertrat die Kammer bezüglich der erfinderischen Tätigkeit die Ansicht, die Tatsache, dass verschiedene Personen oder Teams gleichzeitig mit demselben Projekt befasst seien, könne bedeuten, dass es naheliege, sich daran zu versuchen, oder dass es sich um ein interessantes Forschungsgebiet handle, aber nicht zwangsläufig, dass eine "angemessene Erfolgserwartung" bestehe (s. auch T 187/93). Eine angemessene Erfolgserwartung dürfe nicht mit der verständlichen "Hoffnung auf gutes Gelingen" verwechselt werden; sie bezeichne vielmehr die Fähigkeit der Fachperson, auf der Grundlage des vor Beginn eines Forschungsprojekts vorhandenen Wissens angemessen vorherzusagen, dass das besagte Projekt innerhalb eines annehmbaren Zeitrahmens erfolgreich abgeschlossen werden könne. Je unerforschter ein technisches Forschungsgebiet, desto schwieriger seien Prognosen über den erfolgreichen Abschluss und desto geringer somit die Erfolgserwartung (T 694/92, ABl. 1997, 408). Nach T 207/94 (ABl. 1999, 273) ist die "Hoffnung auf gutes Gelingen" lediglich der Ausdruck eines Wunsches, während die "angemessene Erfolgserwartung" eine wissenschaftliche Bewertung der vorliegenden Tatsachen erfordert.
In T 223/92 wies die Kammer darauf hin, dass 1981 angesichts des Stands der Technik eine Fachperson nur dann ungeachtet der sehr ungewissen Erfolgsaussichten den Weg der DNA-Rekombinationstechnik gewählt hätte, wenn sie beispielsweise auf persönliches Glück, Geschick und seinen Erfindergeist vertraut hätte, um die damit einhergehenden bekannten und bis dahin noch unbekannten Probleme zu überwinden, während sie die Durchschnittsfachperson veranlasst hätten, mit einem Scheitern zu rechnen.
In T 923/92 (ABl. 1996, 564) sah sich die Kammer vor die Frage gestellt, ob die Fachperson mit guten Erfolgsaussichten versucht hätte, die für menschliches t-PA codierende cDNA herzustellen, oder ob sie im vorliegenden Fall in der Lage gewesen wäre, aufgrund ihres Fachwissens schon vor Inangriffnahme des Forschungsprojekts abzusehen, dass sie ihr Vorhaben innerhalb akzeptabler Fristen würde erfolgreich abschließen können. Die Kammer zog dabei in Betracht, dass die Fachperson, wie in der Entscheidung T 816/90 formuliert wurde, auch dann, wenn theoretisch ein unkomplizierter Weg zur Lösung einer bestimmten technischen Aufgabe denkbar ist, bei der praktischen Ausführung der geplanten Strategie auf unerwartete Schwierigkeiten stoßen könnte. Sie stellte dazu fest, dass der Fachperson trotz ihrer Erfolgserwartung bei der Inangriffnahme ihres Vorhabens bewusst gewesen wäre, dass dessen Gelingen nicht nur vom fachlichen Können, mit dem die aufeinander folgenden Schritte des theoretischen Versuchsprotokolls durchgeführt würden, sondern ganz entscheidend auch von der Fähigkeit abhänge, in schwierigen Situationen während des Versuchsverlaufs die richtige Entscheidung zu treffen. Man könne deshalb nicht sagen, dass die Fachperson gute Erfolgsaussichten gehabt hätte.
Auch in T 386/94 (ABl. 1996, 658) bezog sich die Beschwerdekammer auf die oben genannte Entscheidung T 816/90 und stellte fest, dass auf dem Gebiet der Gentechnik keine erfinderische Tätigkeit vorliegt, wenn die Fachperson am Prioritätstag davon ausgehen kann, dass die Klonierung und die Expression eines Gens relativ einfach zu bewerkstelligen sind, und die Klonierung, auch wenn sie sehr arbeitsaufwendig ist, keine Probleme aufwirft, die die Erfolgsaussichten fraglich erscheinen lassen.
In T 207/94 (ABl. 1999, 273) entschied die Kammer, dass bei einer Erfindung, die die Expression einer geklonten DNA in einem ausgewählten fremden Wirt zum Gegenstand hat, die Beurteilung, ob dieser Verfahrensschritt gute Erfolgsaussichten hat, den damit verbundenen tatsächlichen Schwierigkeiten Rechnung tragen muss. Die Behauptung, dass bestimmte Merkmale diesen Erfolgsaussichten entgegenstehen, kann daher nur berücksichtigt werden, wenn sie sich auf technische Fakten gründet.