7.2.3 Nachweis der therapeutischen Wirkung
Nachträglich veröffentlichte Beweisstücke können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie die in der Anmeldung enthaltenen Feststellungen in Bezug auf die Verwendung der Verbindung(en) als Arzneimittel stützen (T 609/02, T 950/13).
Liefert die Beschreibung in einer Patentschrift lediglich einen vagen Hinweis auf eine mögliche medizinische Verwendung einer chemischen Verbindung, die aber noch ermittelt werden muss, können zu einem späteren Zeitpunkt nicht detailliertere Beweismittel beigebracht werden, um den Mangel der grundlegenden unzureichenden Offenbarung des Erfindungsgegenstands zu beseitigen (T 609/02). Ist die therapeutische Wirkung ein funktionelles Merkmal des Anspruchs, muss die Anmeldung offenbaren, dass sich das herzustellende Erzeugnis für die beanspruchte therapeutische Anwendung eignet, und nachgereichte Beweismittel können eine grundlegende mangelnde Offenbarung nicht heilen (Beitrag aus T 609/02 zusammengefasst in T 1045/13).
In G 2/21 befasst sich die Große Beschwerdekammer mit dieser Rechtsprechung, in erster Linie mit T 609/02, und führt dann weitere, mit dieser Entscheidung T 609/02 in Einklang stehende Fälle unter Nennung der wichtigsten Gründe auf (Nrn. 75 bis 77 der Gründe). In der Zusammenfassung der Grundsätze heißt es in G 2/21: Zur Erfüllung des Erfordernisses, dass die Offenbarung der Erfindung so deutlich und vollständig sein muss, dass eine Fachperson sie ausführen kann, muss der Nachweis einer beanspruchten therapeutischen Wirkung in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung erbracht werden, insbesondere dann, wenn die Erzielung dieser therapeutischen Wirkung ohne Versuchsdaten in der ursprünglich eingereichten Anmeldung für die Fachperson nicht glaubhaft wäre. Ein diesbezüglicher Mangel kann nicht durch nachveröffentlichte Beweismittel behoben werden.
Da die Rechtsprechung vor G 2/21 in diesem Punkt bestätigt wurde, bleibt sie weiterhin anwendbar. Am Ende des Abschnitts sind Entscheidungen nach G 2/21 aufgeführt, die bestätigen, dass nachveröffentlichte Beweismittel einen ursprünglichen Offenbarungsmangel nicht beheben können.
Wird eine therapeutische Anwendung mithilfe der schweizerischen Anspruchsform beansprucht, so ist nach Auffassung der Kammer in T 433/05 unter Bezugnahme auf T 609/02 die Erzielung der beanspruchten therapeutischen Wirkung ein funktionelles technisches Merkmal des Anspruchs. Folglich muss die Anmeldung gemäß Art. 83 EPÜ 1973 offenbaren, dass das herzustellende Erzeugnis sich für die beanspruchte therapeutische Anwendung eignet (s. auch T 1685/10). Wird dem Gegenstand eines Anspruchs jedoch nur durch eine neue therapeutische Verwendung eines Arzneimittels Neuheit verliehen, so darf der Anspruch nach G 2/08 date: 2010-02-19 (ABl. 2010, 456) nicht mehr in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst werden, wie sie mit der Entscheidung G 1/83 (ABl. 1985, 60) geschaffen wurde. In Anlehnung an T 609/02 wies die Kammer in T 801/06 darauf hin, dass eine beanspruchte therapeutische Wirkung durch jede Art von Daten nachgewiesen werden kann, solange diese die therapeutische Wirkung klar und eindeutig widerspiegeln. Die bloße Tatsache, dass die Versuche im Patent nicht mit einer "wirklichen" Metastase durchgeführt wurden, reichte daher nicht aus, um eine ausreichende Offenbarung zu verneinen.
In T 2571/12 (Behandlung von Schizophrenie mit Glutathion) wies die Kammer darauf hin, dass weder das Patent noch der verfügbare Stand der Technik Hinweise auf eine therapeutische Wirkung der Glutathion-Vorläufer für die beanspruchten Störungen enthielten; folglich konnte auch das nachveröffentlichte Dokument, das eine solche Wirkung angeblich u. a. bei bipolaren Störungen untermauert, bei der Beurteilung der ausreichenden Offenbarung nicht berücksichtigt werden.
In T 1045/13, die sich auf einen Anspruch auf eine gemäß Art. 54 (5) EPÜ formulierte zweite medizinische Verwendung bezog, war die Kammer der Auffassung, dass die Anmeldung in der eingereichten Fassung keinen Hinweis darauf enthalte, worauf die Beziehung zwischen der Aktivität des pharmazeutischen Wirkstoffs (NGF) und der therapeutischen Wirkung (Linderung der Symptome der beanspruchten psychologischen Erkrankungen) beruht. Die Beschreibung enthalte keine Informationen über die Wirkungsweise von NGF. Es gebe weder einen Verweis auf Hintergrundinformationen, die einen Zusammenhang zwischen NGF und den zu erzielenden therapeutischen Wirkungen herstellen, noch werde eine solche Wirkung durch In-vitro-Prüfungen veranschaulicht. Ohne solche aktenkundigen Informationen seien die experimentellen Nachweise entscheidend. Die Nachweise in der eingereichten Anmeldung genügten jedoch nicht den Erfordernissen einer ausreichenden Offenbarung. Die experimentellen Nachweise umfassten elf Beispiele für verschiedene Erkrankungen, deckten jedoch nicht alle Erkrankungen aus Anspruch 1 ab; jedes Beispiel bezog sich nur auf einen einzigen Patienten – entgegen der gängigen Praxis, die eine statistische Analyse der Ergebnisse anstrebt. Ohne Kontrollgruppe könnten Placeboeffekte nicht ausgeschlossen werden. Die nachträglich veröffentlichten Beweisstücke könnten berücksichtigt werden, allerdings nur, wenn sie die in der Anmeldung enthaltenen Feststellungen untermauern. Die nachträglich veröffentlichten Beweisstücke konnten keine ausreichende Offenbarung an sich nachweisen. Sie mussten daher nicht behandelt werden. Für eine ausreichende Offenbarung ist nicht relevant, was der Beschwerdegegner (Patentinhaber) wusste, aber nicht offenbaren wollte.
Für Entscheidungen nach G 2/21, die bestätigen, dass nachveröffentlichte Beweismittel einen ursprünglichen Offenbarungsmangel nicht beheben können, siehe beispielsweise (Schlüsselpunkte in Klammern): T 1779/21 (therapeutische Wirkung war nicht glaubhaft; nachveröffentlichte Daten wurden nicht berücksichtigt); T 2790/17 (mit der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung wurden zwar Versuchsdaten vorgelegt, jedoch war die therapeutische Wirkung nicht glaubwürdig, sodass nachveröffentlichte Beweismittel nicht berücksichtigt werden konnten); T 197/22 (eine unzureichende Offenbarung kann nicht durch nachveröffentlichte Beweismittel behoben werden – das Argument des Patentinhabers unter Berufung auf das nachveröffentlichte Dokument D39 war daher nicht ausreichend); T 166/22 (es bestanden ernsthafte, durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel; das nachveröffentlichte Beweismittel D24 wurde daher nicht berücksichtigt); T 853/22 (der Mangel an Glaubhaftigkeit der Wirkung konnte nicht durch das nachveröffentlichte Dokument D8 behoben werden).
In T 552/22 konnte die unzureichende Offenbarung nicht durch nachveröffentlichte Beweismittel behoben werden, und die Kammer stellte klar, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht den Anspruch auf Berücksichtigung nachveröffentlichter Beweismittel beinhaltet.
- T 0867/23
In T 0867/23 the board decided on the basis of the patent as granted (main request). Claim 1 was worded as a purpose-limited product claim in accordance with Art. 54(5) EPC. The treatment of "primary negative symptoms of schizophrenia" was a functional feature of claim 1.
The parties were in dispute regarding whether the application as filed made the claimed therapeutic effect plausible, and whether post-published evidence could be taken into account. The question was whether, on the basis of the evidence contained in the application as filed, cariprazine was demonstrated to have the claimed therapeutic effect on primary negative symptoms of schizophrenia.
In support of its reasoning, the board cited G 2/21 (point 77 of the Reasons), in which the Enlarged Board had explained that, in order to meet the requirement of sufficiency of disclosure, "[…] the proof of a claimed therapeutic effect has to be provided in the application as filed, in particular if, in the absence of experimental data in the application as filed, it would not be credible to the skilled person that the therapeutic effect is achieved. A lack in this respect cannot be remedied by post-published evidence..
In the board's view, this statement of the Enlarged Board did not set a new standard for reliance on post-published evidence in the context of sufficiency of disclosure, i.e. a standard which would depart from the previously cited case law summarised in G 2/21 (as noted in T 979/23). Following G 2/21, a reliance on post-published evidence was not ruled out generally in the context of sufficiency of disclosure for second medical use claims. The reliance on post-published evidence could also not be limited to situations in which it served no useful purpose, i.e. cases in which the effect was already convincingly proven in the application to such an extent that the use of post-published evidence, as a superfluous confirmation of the already proven effect, would be of no relevance. The board explained that, in other words, the scope of reliance on post-published evidence was not zero.
In the case in hand, the board considered that the application as filed contained experimental data reflecting an effect on primary negative symptoms of schizophrenia, and thus disclosed the suitability of cariprazine for the claimed therapeutic indication (see T 609/02). Under these circumstances, the board established that post-published evidence D13 could be taken into account to back up the findings in the application as filed.
The board found that D13 confirmed the findings of the patent, and showed improvements in negative symptoms while excluding indirect effects related to positive, depressive, or EPS (extrapyramidal) symptoms as causal factor. Accordingly, D13 supported the conclusion that cariprazine was effective on primary negative symptoms and refuted the appellants' objection that the improvement could relate to secondary negative symptoms. Therefore, the criteria of sufficiency of disclosure were satisfied.