5.1.2 Einzelfälle
Im Rahmen der Neuheitsprüfung ist die Partei, die behauptet, das zwangsläufige Ergebnis einer Offenbarung aus dem Stand der Technik stehe im Widerspruch zur ausdrücklichen Offenbarung des zitierten Stands der Technik, nicht nur verpflichtet, die frühere Offenbarung so nachzuarbeiten, dass das behauptete zwangsläufige Ergebnis eintritt, sondern hat auch überzeugend nachzuweisen, dass etwaige beträchtliche Abweichungen von den in der früheren Offenbarung festgelegten Bedingungen für das Ergebnis nicht wesentlich waren (T 204/00; s. auch T 396/89).
Im Fall T 713/01 bestritt der Beschwerdeführer das Vorliegen einer "ausführbaren" Offenbarung bezüglich der Herstellung von Polymeren, die in Gegenwart eines solubilisierten Lithiumpyrrolidid-Initiators erzeugt werden, in D2 unter Verweis auf die Entscheidungen T 124/87 (ABl. 1989, 491) und T 206/83 (ABl. 1987, 5). Die Kammer stellte fest, dass der einzige Unterschied zwischen D2 und dem Anspruchswortlaut nicht als Unterscheidungsmerkmal des beanspruchten Erzeugnisses tauge, weil dieses Product-by-process-Merkmal im Erzeugnis nicht anhand einer charakterisierenden Eigenschaft nachweisbar war. In diesem Zusammenhang fügte die Kammer hinzu, dass im Verfahren vor der Prüfungsabteilung die Beweislast für ein angeblich unterscheidendes "Product-by-process"-Merkmal beim Anmelder liegt (s. ferner T 205/83, ABl. 1985, 363 und T 279/84). Die Entscheidung T 713/01 betraf eindeutig die Frage der Beweislast im Prüfungsverfahren (T 1912/10).
In T 664/20 stellte die Kammer in Nr. 2 des Orientierungssatzes Folgendes fest: Ändert ein Patentinhaber einen Produktanspruch dahingehend, dass das Produkt für eine bestimmte Verwendung bestimmt ist, trägt er auch die Beweislast dafür, dass sich die Produkte im der Neuheit des Streitpatents entgegengehaltenen Stand der Technik, die alle anderen Anspruchsmerkmale aufweisen, nicht für die betreffende Verwendung eignen.
In T 172/20 entschied die Kammer, dass die Beweislast beim Einsprechenden verbleibt, da es sich bei dem fraglichen Parameter um keinen unüblichen Parameter handelte. Es oblag dem Einsprechenden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass der beanspruchte Gegenstand im Stand der Technik unmittelbar und eindeutig offenbart wurde.
In T 2916/19 waren die Beschaffenheit des Katalysatorsystems und seine Präparation entscheidungsrelevant. Angesichts der Einwände ausgehend von einer ausführbaren Offenbarung (E1) und der Tatsache, dass es sich bei E1 um eine Druckschrift und keine behauptete offenkundige Vorbenutzung handelte, unterschieden sich die Umstände von denen der Fälle G 1/92 und T 1833/14, auf die sich der Beschwerdegegner (Patentinhaber) berief. Nichtsdestoweniger waren die Argumente ebenso relevant für die schriftliche Offenbarung E1. Angesichts der Eingaben des Beschwerdegegners kam die Frage auf, ob die Fachperson tatsächlich eins der Beispiele 1, 3 und 5 der E1 ohne unzumutbaren Aufwand zu präparieren in der Lage wäre, da die E1 selbst unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nur sehr knappe Informationen zum entsprechenden Präparationsvorgang und insbesondere zum verwendeten Katalysatorsystem enthielt. Zwischen den Beteiligten war strittig, ob die Beweislast bezüglich der Ausführbarkeit der Beispiele der E1 beim Beschwerdeführer (Einsprechenden) oder Beschwerdegegner (Patentinhaber) lag. Da die Einwände (Mangel an Neuheit und erfinderischer Tätigkeit) des Beschwerdeführers auf der Offenbarung der Beispiele der E1 basierten, oblag es vor allem ihm zu zeigen, dass die Beispiele der E1 tatsächlich zum Stand der Technik gehörten. Gemäß ständiger Rechtsprechung sind die Anforderungen für eine ausreichende Offenbarung für ein Dokument aus dem Stand der Technik und ein Patent identisch (T 1437/07). Da der vom Beschwerdegegner erhobene Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Beispiele der E1 von überprüfbaren Fakten gestützt und besagte Ausführbarkeit daher substantiiert in Zweifel gezogen wurde, lag die Beweislast beim Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer argumentierte zudem nicht überzeugend unter Verweis auf die Niederschrift, dass der Einwand über die mangelnde Ausführbarkeit von E1 zurückzuweisen sei, da der Beschwerdegegner im Einspruchsverfahren das Gegenteil behauptet hatte.
Siehe Kapitel I.C. "Neuheit".