2.2.2 Antrag auf Anberaumung oder Vertagung einer mündlichen Verhandlung; Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung
Keine Bestimmung des EPÜ kann einen Beteiligten daran hindern, zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens einen Antrag auf mündliche Verhandlung zurückzuziehen. Die Tatsache, dass ein solcher Antrag zurückgenommen wird, stellt an sich kein schuldhaftes Verhalten dar und kann somit nicht zur Bewertung der Billigkeit gemäß Art. 104 (1) EPÜ 1973 herangezogen werden (T 91/99).
In T 154/90 (ABl. 1993, 505) hatte der Einsprechende zunächst auf der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bestanden, obwohl die Einspruchsabteilung sie nicht für erforderlich hielt; er hatte dann aber acht Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung die Aufhebung des Termins beantragt. Sein Brief kam aus EPA-internen organisatorischen Gründen erst nach der mündlichen Verhandlung zur Einspruchsabteilung. Die Kammer stellte fest, dass acht Tage eine ausreichende Zeitspanne für die Aufhebung des Termins waren, da kein neuer Sachvortrag zu würdigen war (anders T 10/82, ABl. 1983, 407). Da der Brief aus rein internen Gründen zu spät angekommen sei, treffe den Einsprechenden kein Verschulden. Er sei nicht verpflichtet, einen Teil der Kosten der anderen Partei zu tragen. Ein Sinneswandel bezüglich der Notwendigkeit der mündlichen Verhandlung sei ebenfalls nicht als schuldhaftes Verhalten zu werten (s. auch T 383/05).
In T 721/96 vom 15. September 1998 date: 1998-09-15 hatte der Beschwerdegegner vier Arbeitstage vor dem Termin für die mündliche Verhandlung sowohl die Kammer als auch den Beschwerdeführer vom Verzicht auf das Patent und vom Antrag auf Aufhebung der mündlichen Verhandlung unterrichtet. Die Verzichtserklärung war jedoch nicht ganz eindeutig formuliert. Die Kammer wies den Antrag auf Kostenverteilung mit der Begründung zurück, dass es klar gewesen sei, dass sich die mündliche Verhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit erübrigte und der Beschwerdeführer sich bei der Geschäftsstelle der Kammer über den weiteren Verlauf des Verfahrens hätte informieren können.
In T 556/96 teilte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) dem EPA und dem Beschwerdegegner am frühen Nachmittag des Vortages der mündlichen Verhandlung mit, dass er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Der Vertreter des Beschwerdegegners war zu diesem Zeitpunkt schon in Richtung München abgereist. Die Kammer war der Auffassung, dass diese Mitteilung zu spät erfolgt sei. Die Tatsache, dass die andere Partei ebenfalls einen unbedingten Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hatte, sei unerheblich, weil die andere Partei ihren Antrag auf mündliche Verhandlung ebenfalls hätte zurücknehmen können, wenn sie rechtzeitig darüber informiert worden wäre, dass der Beschwerdeführer seine Teilnahme abgesagt hatte. Die Kammer ordnete daher an, dass der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen habe, die dem Beschwerdegegner für Vorbereitung und Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entstanden sind. S. ebenfalls T 939/21.
In dem der Entscheidung T 490/05 zugrunde liegenden Fall hatte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) am Vortag der mündlichen Verhandlung nicht nur seinen Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen, sondern auch seinen Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Folglich war schon vor der mündlichen Verhandlung klar, dass die angefochtene Entscheidung, das Streitpatent zu widerrufen, in jedem Fall rechtskräftig wird. Dadurch wurde der Beschwerdegegner in die für ihn vorteilhafte Lage versetzt, seine Vorbereitung der mündlichen Verhandlung auf den von dem Patentinhaber gestellten Antrag der Kostenverteilung zu konzentrieren. Eine Verteilung der dem Einsprechenden erwachsenen Kosten entsprach somit hier nicht der Billigkeit.
In T 258/13 nahm der Beschwerdeführer zwei Tage vor dem anberaumten Termin seinen Antrag auf mündliche Verhandlung zurück, was de facto nur einem Tag im Voraus entsprach, da es schon spätnachmittags (17 Uhr) war. Dies war keine rechtzeitige Unterrichtung. Unter Berufung auf T 556/96 stellte die Kammer fest, dass der Antrag des Beschwerdeführers behandelt werden müsse, als sei er so spät eingegangen, dass der Beschwerdegegner sich bereits umfassend habe vorbereiten müssen, wobei auch der Zeitaufwand für die Anreise am Vortag der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen sei. Eine Kostenverteilung zugunsten des Beschwerdegegners sei angemessen. Allerdings sei in der mündlichen Verhandlung nur die Anwesenheit eines bevollmächtigten Vertreters erforderlich. Ob eine Begleitperson teilnehme oder nicht, habe keinerlei Auswirkungen auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung; vielmehr handle es sich um eine freie Entscheidung der betreffenden Partei, an der die Gegenseite nicht beteiligt sei. Dem Beschwerdeführer auch die Kosten der Begleitperson aufzuerlegen, widerspreche dem Grundsatz der Billigkeit.
In T 169/14 befand die Kammer, dass ein zur mündlichen Verhandlung geladener Beteiligter aus Gründen der Billigkeit verpflichtet ist, das EPA und den anderen Beteiligten unverzüglich zu benachrichtigen, nachdem er entschieden hat, nicht zur Verhandlung zu erscheinen oder seinen Antrag auf mündliche Verhandlung zurückzuziehen. Folglich kann in Fällen, in denen ein Beteiligter seine Entscheidung über sein Fernbleiben, die Rücknahme seines Antrags auf mündliche Verhandlung oder die entsprechende Benachrichtigung der Kammer unangemessen hinauszögert, eine Kostenverteilung zugunsten der anderen Partei gerechtfertigt sein, wenn die Kosten unmittelbar dadurch verursacht worden sind, dass die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist eingereicht worden ist. Im vorliegenden Fall nahm der Beschwerdeführer seinen Antrag auf mündliche Verhandlung erst eine Woche vor dem anberaumten Termin zurück. Gleichzeitig reichte er aber Ausführungen zur vorläufigen Auffassung der Kammer ein und beantragte, dass die Kammer diese in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtige. Hätte die Kammer die neuen Vorbringen des Beschwerdeführers für zulässig und überzeugend erachtet, hätte aufgrund des bedingten Antrags des Beschwerdegegners eine mündliche Verhandlung stattfinden müssen. Außerdem enthielt die Akte keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer seine Mitteilung unangemessen verzögert hat oder eindeutig ungebührlich oder leichtfertig gehandelt hat.