5.1.2 Änderungen, die durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind – Regel 80 EPÜ
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5.1.2 Änderungen, die durch einen Einspruchsgrund veranlasst sind – Regel 80 EPÜ
- T 1398/23
In T 1398/23 entschied die Kammer, dass die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 durch die Einspruchsabteilung fehlerhaft war..
Die Einspruchsabteilung hatte den Antrag als verspätet angesehen, da er nach Ablauf der Frist nach R. 116 (1) EPÜ eingereicht worden war. "Um die Fairness des Verfahrens zu garantieren", prüfte sie daher, ob die Patentinhaberin den Antrag früher hätte einreichen können. Die Einspruchsabteilung stellte ferner fest, dass Hilfsantrag 14 rechtzeitig vor der Frist gemäß R. 116 (1) EPÜ eingereicht worden war, und dass der neu eingereichte Hilfsantrag 2 fast identisch zu Hilfsantrag 14 war, mit dem Unterschied, dass die Ansprüche 6 bis 10 aufrechterhalten wurden..
Aufgrund dieser Konstellation, kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die Patentinhaberin keinen Grund gehabt hatte, einen neuen Antrag mit zusätzlichen Ansprüchen einzureichen. Eine Änderung der Strategie einer Partei, die unabhängig vom Verfahrensverlauf ist, sei keine gültige Begründung für ein spätes Vorbringen. Der Hilfsantrag 2 hätte spätestens kurz vor Ablauf der Frist gemäß R. 116 (1) EPÜ eingereicht werden müssen und wurde daher von der Einspruchsabteilung gemäß Art. 114 (2) EPÜ nicht ins Verfahren zugelassen.
Die Kammer kam jedoch zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung die Ausgangslage unzutreffend ermittelt hatte. Maßgeblich war der Kammer zufolge, dass die Einsprechende am letzten Tag der Frist gemäß R. 116 (1) EPÜ erstmals einen Einwand unter Art. 54 (1) EPÜ in Bezug auf das Dokument D2 erhoben hatte und die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung von ihrem Ermessen Gebrauch machte, diesen neuen Einwand zum Verfahren zuzulassen, auf dessen Basis der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 dann als nicht neu angesehen wurden. Hilfsantrag 14 war hingegen eingereicht worden, bevor der Einspruchsabteilung der Einwand fehlender Neuheit im Hinblick auf D2 überhaupt bekannt war. Hilfsantrag 14 war ersichtlich ein Versuch, die davor erhobenen Einwände der Einsprechenden zu beheben bzw. der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung Rechnung zu tragen. Dies bedeutet, dass Hilfsantrag 14 nicht als Reaktion auf den neuen Einwand unter Art. 54 (1) EPÜ im Hinblick auf D2 angesehen werden durfte. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung war Hilfsantrag 14 daher nicht Teil der Ausgangslage, die bei der Bestimmung der durch die Einreichung von Hilfsantrag 2 bewirkten Änderung zu berücksichtigen war.
Ausgehend davon, dass ein neuer Einwand unter Art. 54 (1) EPÜ erst am letzten Tag der Frist nach R. 116 (1) EPÜ erhoben worden war, dieser erst in der mündlichen Verhandlung durch die Einspruchsabteilung zum Verfahren zugelassen worden war und dann zur Ablehnung der Neuheit des beanspruchten Gegenstands führte, war die Einreichung eines neuen Hilfsantrags in der mündlichen Verhandlung als rechtzeitige und angemessene Reaktion zu bewerten. In diesem Falle lag die Zulassung des neuen Hilfsantrags 2 nicht im Ermessen der Einspruchsabteilung, sondern der Hilfsantrag 2 musste zugelassen werden.
Auch wenn Hilfsantrag 2 im Vergleich zu Hilfsantrag 14 nur zusätzliche Ansprüche aufweist, kann das Recht der Patentinhaberin, auf einen neuen Einwand mit einem neuen Anspruchssatz (Hilfsantrag 2) zu reagieren, nicht durch einen Anspruchssatz (Hilfsantrag 14) erschöpft werden, der sich bereits vor Einreichung des Einwands im Verfahren befand.
Da die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Hilfsantrag 2 nicht zuzulassen, fehlerhaft war, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Die Kammer hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück (Art. 111 (1) EPC, Art. 11 VOBK).
- T 2108/22
In der angefochtenen Entscheidung in der Sache T 2108/22 wurde der damalige erste Hilfsantrag (jetziger Hauptantrag) nicht zum Verfahren zugelassen, "da er keine notwendige und zweckmäßige Antwort auf einen Einspruchsgrund sei (R. 80 EPÜ)". Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 mit zwei unterschiedlichen Alternativen eingeschränkt. Es war unstrittig zwischen den Parteien, dass jede der beiden Alternativen A und B des Anspruchs 1 für sich alleine betrachtet durch Hinzufügung von Merkmalen so geändert wurde, dass sie jeweils dem Erfordernis der R. 80 EPÜ genügte..
Nach Ansicht der Kammer, ergibt sich die Gesamtwirkung einer Änderung, die sich aus mehreren Einzeländerungen zusammensetzt, nicht nur aus der Summe der Wirkungen der Einzeländerungen für sich einzeln betrachtet, sondern es ist auch zu berücksichtigen, wie sich die Einzeländerungen im Zusammenhang mit dem insgesamt geänderten Anspruchssatz auswirken. Im vorliegenden Fall besteht diese Gesamtwirkung u.a. auch darin, dass anstelle eines einzigen unabhängigen Anspruchs, der eine einzige Erfindung definiert, nun zwei Alternativen A und B in dem Anspruch definiert sind, die zwei unabhängigen Ansprüchen entsprechen. Das Vorhandensein als solches von zwei Alternativen in Anspruch 1 erfüllt keine der Anforderungen, die nach der Rechtsprechung an eine Änderung im Einklang mit R. 80 EPÜ zu stellen sind, und stellt daher einen Verstoß gegen R. 80 EPÜ dar.
Die Kammer kam zu dem Schluss, dass die Hinzufügung einer einzigen der beiden, den beanspruchten Gegenstand einschränkenden ODER-Alternativen, z.B. Alternative A, zum erteilten unabhängigen Anspruch 1 als ausreichende und abschließende Reaktion auf einen Neuheitseinwand zu werten sei. Diese Änderung entspreche dem Erfordernis der R. 80 EPÜ. Die Hinzufügung der Merkmale der zweiten Alternative B, die inhaltlich komplett unterschiedlich von der ersten Alternative A ist, kann jedoch nicht dazu beitragen, den Neuheitseinwand zu beseitigen, der zur Hinzufügung der ersten Alternative A geführt hat. Die Hinzufügung der Alternative B zum geänderten Anspruch 1 mit der Alternative A könne also nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst sein (R. 80 EPÜ), sondern nur durch den von der Patentinhaberin vorgebrachten Wunsch nach einem "angemessenen breitestmöglichen [Schutz]". Eine Änderung mit dem Ziel des Erreichens des größtmöglichen Schutzumfangs ist jedoch nicht im Einklang mit dem Erfordernis der R. 80 EPÜ..
Eine zweite Alternative in Anspruch 1 führt zu einer erhöhten Komplexität des Verfahrens, zu einer Verzögerung des Verfahrens bei Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung, zur weiteren Bearbeitung und zu einer Verschlechterung der Verfahrensökonomie. Die Einsprechende forderte daher eine ausgewogene und faire Abwägung zwischen ihrem eigenen und dem Begehren der Patentinhaberin.
Die Kammer kam unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Hinzufügung eines oder mehrerer unabhängiger Ansprüche nach R. 80 EPÜ nicht ausdrücklich zulässig ist, und unter Abwägung der gegenläufigen Interessen der Beteiligten zu dem Schluss, dass der Anspruch 1 mit zwei Alternativen gegen die Vorschrift der R. 80 EPÜ verstößt.
Die Patentinhaberin zitierte mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammern (z.B. T 937/00, T 181/02, T 263/05, T 428/12), wonach die Patentinhaberin ein Recht auf größtmöglichen Schutz habe und daher das Ersetzen eines einzigen unabhängigen Anspruchs durch mehrere unabhängige Ansprüche zulässig sei. Die Kammer überzeugte dieses Argument nicht. Keine der von der Patentinhaberin zitierten Entscheidungen der Beschwerdekammern besagt, dass eine Änderung eines Anspruchs, die darin besteht, einen einzigen unabhängigen Anspruch durch mehrere unabhängige Ansprüche zu ersetzen, in jedem Fall nach R. 80 EPÜ zulässig ist. Vielmehr besteht in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein allgemeiner Konsens darüber, dass "jeder Fall für sich genommen betrachtet werden muss" (T 263/05).