4.2.2 Erste Stufe des Konvergenzansatzes: Änderungen des Vorbringens – Artikel 12 (4) VOBK
Das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens besteht darin, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Art. 12 (2) VOBK). Im Hinblick auf dieses vorrangige Ziel ist gemäß Art. 12 (2) VOBK das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Tatsachen, Einwände, Beweismittel und Anträge zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen.
Auf der ersten Stufe des Konvergenzansatzes ist gemäß Art. 12 (4) Satz 1 VOBK ein Teil des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten,
– der nicht die in Art. 12 (2) VOBK genannten Erfordernisse erfüllt und
– für den der Beteiligte nicht gezeigt hat, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde,
als Änderung des Vorbringens des Beteiligten zu betrachten.
Dementsprechnd ist eine Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten im Sinne von Art. 12 (2) und (4) VOBK ein Vorbringen, das nicht auf die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel gerichtet ist – mit anderen Worten, das über den darin festgelegten Rahmen hinausgeht (T 19/20, siehe auch T 247/20, T 2988/18 und T 907/20) – und für das nicht nachgewiesen wurde, dass es in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde. Es steht im Ermessen der Kammer, solche Änderungen zuzulassen (Art. 12 (4) Satz 2 VOBK). Siehe Kapitel V.A.4.3.4.
Das Beschwerdeverfahren, das weitgehend durch den faktischen und rechtlichen Rahmen des Verfahrens, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, bestimmt wird, soll nicht die Möglichkeit bieten, einen völlig neuen Sachverhalt vorzubringen. Dies bedeutet, dass es einem Beschwerdeführer nicht freisteht, seinen Fall nach Belieben zu verlagern, da dies die Kammer entweder zu einer Erstentscheidung über kritische Fragen oder zur Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zwingen würde. Einem Beschwerdeführer diese Freiheit einzuräumen, würde einem ordnungsgemäßen und effizienten Beschwerdeverfahren zuwiderlaufen, das gemäß Art. 12 (2) VOBK dem vorrangigen Ziel dient, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen (T 919/22; siehe auch T 101/17 zur ratio legis des eng verwandten Art. 12 (6) Satz 2 VOBK).
Bezüglich der Voraussetzungen des Art. 12 (2) VOBK haben die Kammern insbesondere wiederholt entschieden, dass Anträge, über die in der angefochtenen Entscheidung nicht entschieden wurde, da diese auf der Grundlage eines höherrangigen Antrags erging, nicht der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen (s. unten Kapitel V.A.4.2.2 b) (iv)).
Wiederholt wurde in der Rechtsprechung betont, dass es grundsätzlich den vortragenden Beteiligten obliegt, aufzuzeigen, dass ihr Vorbringen bereits in erster Instanz „zulässig vorgetragen und aufrechterhalten wurde" (s. z. B. T 246/22, T 3024/19, T 81/20, s. auch Kapitel V.A.4.2.2 c) (ii) "Darlegungspflicht des Beteiligten").
Zur Frage, wie zu prüfen ist, ob ein Vorbringen "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde", wurden verschiedene Ansätze vertreten. Insbesondere wurde in T 1913/21, T 446/22 und T 364/20 darauf abgestellt, ob die erstinstanzliche Abteilung das Vorbringen hätte zulassen müssen, hätte sie darüber entscheiden müssen, während in anderen Entscheidungen (insbesondere T 1800/20, T 246/22 und T 1659/22) bestimmte, von den erstinstanzlichen Maßstäben abgekoppelte Anforderungen formuliert wurden (s. unten Kapitel V.A.4.2.2 c) (i)).