4.5.5 Zulassung neuer Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel
(i) Vorläufige Einschätzung keine Aufforderung zu weiterem Vorbringen
In T 1756/16 ließ die Kammer den erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Art. 13 (2) VOBK nicht zu. Das Argument des Beschwerdeführers, der Einwand sei innerhalb der in der Mitteilung der Kammer nach Art. 15 (1) VOBK gesetzten Frist erhoben worden und folglich zu berücksichtigen, akzeptierte die Kammer nicht. Sie hob hervor, dass eine Mitteilung gemäß Art. 15 (1) VOBK – auch wenn sie häufig, wie auch im vorliegenden Fall, eine Frist zur Einreichung von etwaigem Vorbringen der Beteiligten unter Vorbehalt der Zulassungsbestimmungen von Art. 114 (2) EPÜ und Art. 13 VOBK enthält – keine Mitteilung nach R. 100 (2) EPÜ darstellt, mit der die Beteiligten zu einer Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist aufgefordert werden. Der Beschwerdeführer konnte daher nicht davon ausgehen, dass neue Einwände ins Verfahren zugelassen werden würden, nur weil sie innerhalb dieser Frist eingereicht wurden. Siehe auch T 884/18.
In T 1767/18 wies die Kammer darauf hin, dass die von der Kammer zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung versandte Mitteilung nicht bindend ist. Sie diene lediglich der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und sei gerade nicht als Einladung zu neuem Vorbringen zu verstehen.
(ii) Erfordernis, auf den Vortrag der Gegenpartei zu reagieren
In T 1108/16 entschied die Kammer wie folgt: Dass ein Beteiligter die Schriftsätze der Gegenpartei nicht sorgfältig analysiert und lieber die vorläufige Einschätzung der Kammer abwartet, bevor er auf einen Einwand (hier: Einwand wegen Erweiterung des Schutzbereichs) reagiert, widerspricht der auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung gerichteten Funktion des Beschwerdeverfahrens und dem Gebot der Verfahrensökonomie folgenden Prinzip des frühzeitigen und vollständigen Vorbringens der Beteiligten (Art. 106 (1) EPÜ, R. 99 (2) EPÜ und Art. 12 (2) VOBK). Die Vorgehensweise des Beschwerdegegners war nach Ansicht der Kammer mit dem Gebot der Verfahrensökonomie unvereinbar. Sie ließ daher die erst in Reaktion auf die Mitteilung der Kammer vorgetragenen Argumente nicht ins Verfahren zu.
Siehe auch Kapitel V.A.4.5.5 f) "Ausschließlich auf früherem Vorbringen der Beteiligten oder der Begründung der erstinstanzlichen Abteilung beruhende Einschätzung der Kammer" und Kapitel V.A.4.5.5 g) "Bedeutung einer direkten Antwort auf schriftliches Vorbringen des anderen Beteiligten".