3. Antrag auf Überprüfung nach Artikel 112a EPÜ
3.6. Anträge auf Überprüfung von Zwischenentscheidungen
In R 2/15 vom 21. November 2016 date: 2016-11-21 entschied die Große Beschwerdekammer, dass Anträge auf Überprüfung von Zwischenentscheidungen nicht generell unzulässig sind (s. auch R 5/08, R 5/15). Sie erkannte keinen Grund für die Annahme, dass Art. 106 (2) EPÜ, wonach eine Entscheidung, die ein Verfahren gegenüber einem Beteiligten nicht abschließt, grundsätzlich nur zusammen mit der Endentscheidung anfechtbar ist, auf das Überprüfungsverfahren anzuwenden sei. Weder Art. 112a EPÜ noch R. 104 bis 110 EPÜ enthalten eine Vorschrift, die Art. 106 (2) EPÜ entspricht.
In R 5/15 räumte die Große Beschwerdekammer ein, dass Zwischenentscheidungen zu Befangenheitsvorwürfen unzweifelhaft Auswirkungen von größter Bedeutung auf das Verfahren als Ganzes haben. Der Antragsteller hatte argumentiert, dass es wahrscheinlich sei, dass die Große Beschwerdekammer die Entscheidung der Kammer in ihrer alternativen Besetzung aufhebt, und dass die Kammer sein rechtliches Gehör verletzt habe, da sie seinen Antrag auf Verlegung der Verhandlung nicht berücksichtigt habe. Die Große Beschwerdekammer erklärte, dass es unangemessen sei, eine Entscheidung auf der Grundlage von Spekulationen zu treffen. Die Zwischenentscheidung der Kammer in ihrer alternativen Besetzung war bindend und rechtskräftig.
- R 0016/22
Der Überprüfungsantrag in R 16/22 war gegen die Entscheidung T 2175/15 vom 1. April 2022 gerichtet, mit der die Beschwerdekammer (in der Besetzung nach Art. 24 (4) EPÜ) den Antrag auf Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer abgelehnt, und den Ablehnungsantrag betreffend die Mitglieder der Kammer in ihrer ursprünglichen Besetzung vom 24. Dezember 2021 als unbegründet zurückgewiesen hatte.
Zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung erklärte die Antragstellerin in einem Schreiben, dass sie nach nochmaliger Überprüfung der Rechtslage der Auffassung sei, dass die Große Beschwerdekammer im Verfahren nach Art. 112a EPÜ die Möglichkeit habe, "zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung den vorliegenden Fall an die Große Beschwerdekammer gemäß Art. 112 EPÜ vorzulegen". Zu Beginn der mündlichen Verhandlung stellte die Antragstellerin auch den formellen Antrag, der Großen Beschwerdekammer in der Besetzung gemäß Art. 112 EPÜ die Rechtsfrage vorzulegen, ob der Anwendungsbereich von Art. 112a EPÜ auf solche rechtskräftigen Entscheidungen einer Beschwerdekammer beschränkt ist, die ein Beschwerdeverfahren abschließen, oder ob dieser Anwendungsbereich sämtliche rechtskräftigen Entscheidungen einer Beschwerdekammer umfasst..
Im Zusammenhang mit diesem Antrag merkte die Große Beschwerdekammer an, dass gegen die Möglichkeit einer solchen Vorlage allerdings bereits der Wortlaut des EPÜ, der nicht nur in Art. 112 EPÜ klar zwischen "Beschwerdekammer" und "Große Beschwerdekammer" unterscheidet, spricht. Sie fügte hinzu, dass die Große Beschwerdekammer entsprechend in Verfahren gemäß Art. 112a EPÜ auch schon entschieden hat, dass sie der Großen Beschwerdekammer keine Rechtsfragen in einem Verfahren nach Art. 112 EPÜ vorlegen kann (R 7/08, bestätigt z. B. in R 8/12). Was das diesbezügliche Vorbringen der Antragstellerin angeht, konnte die Große Beschwerdekammer keine besonderen Gründe im Sinne von Art. 12 VOGBK erkennen, welche eine Berücksichtigung des verspätet vorgebrachten Antrags auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer unter Art. 112 EPÜ rechtfertigen würden. Der Antrag wurde daher als verspätet zurückgewiesen.
In Bezug auf die Zulässigkeit von Überprüfungsanträgen gegen Zwischenentscheidungen befand die Große Beschwerdekammer, dass im Hinblick auf R 5/23 und R 2/15 eine uneinheitliche Rechtsprechung vorliegt. Allerdings habe die Große Beschwerdekammer in einem Verfahren nach Art. 112a EPÜ keine Möglichkeit, eine entsprechende Rechtsfrage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung nach Art. 112 EPÜ der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
Zum Begriff der "Entscheidung" in Art. 112a EPÜ erklärte die Große Beschwerdekammer, dass sich unterschiedliche Verfahrenshandlungen des EPA durchaus bezüglich ihrer Anfechtbarkeit unterscheiden können, auch wenn sie in gleicher Weise als "Entscheidungen" bezeichnet werden. Sie teilte die in den Entscheidungen R 2/15 und R 5/23 vertretene Auffassung, dass die Bestimmungen von Art. 106 (2) EPÜ im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nicht anwendbar sind. Die grundsätzlichen Überlegungen hinter Art. 106 EPÜ, die einer selbständigen Beschwerde gegen Zwischenentscheidungen entgegenstehen (z. B. Vermeidung von Verfahrensverzögerungen), seien dagegen durchaus auf das Überprüfungsverfahren unter Art. 112a EPÜ anwendbar. Diese Überlegungen sprechen gegen eine Möglichkeit der Überprüfung von Zwischenentscheidungen unter Art. 112a EPÜ..
Der Großen Beschwerdekammer zufolge sind auch der Sinn und Zweck des Überprüfungsverfahrens, insbesondere die Ausgestaltung als außerordentlicher Rechtsbehelf, Aspekte, die nicht für eine Gleichsetzung von Überprüfungsanträgen mit Beschwerden im Hinblick auf die Anfechtungsmöglichkeiten oder gar für eine großzügigere Praxis sprechen, sondern eher für eine strengere Beurteilung der Zulässigkeit bei Überprüfungsanträgen. Darüber hinaus impliziert der Wortlaut von Art. 112a (5) EPÜ, der auf die Wiederaufnahme des Verfahrens "vor den Beschwerdekammern" Bezug nimmt, dass vor den Beschwerdekammern eben kein Verfahren mehr anhängig ist. Diese Regelung stützt jedenfalls nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer die Auslegung, nach der Zwischenentscheidungen nicht selbständig bzw. gesondert unter Art. 112a EPÜ überprüft werden können.
Der Antrag auf Überprüfung wurde folglich als unzulässig verworfen.