6.3.1 Auswahl eines Teilbereichs
Wie oben erwähnt, musste ursprünglich ein drittes Kriterium erfüllt sein, und zwar: c) der ausgewählte Bereich darf kein willkürlich gewählter Ausschnitt aus dem Vorbekannten, also keine bloße Ausführungsform der Vorbeschreibung sein, sondern muss zu einer neuen Erfindung führen (gezielte Auswahl). Dieses Kriterium wird nunmehr für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und nicht für die der Neuheit herangezogen (s. T 1233/05, T 1131/06, T 230/07, T 913/07, T 1130/09, T 2041/09, T 492/10, T 1948/10, T 423/12, T 378/12, T 1404/14, T 261/15). Es gibt jedoch einzelne Gegenbeispiele, so z. B. T 66/12, wo die Kammer angesichts ihrer Schlussfolgerung, dass das dritte Kriterium nicht erfüllt war, offenließ, ob die ersten beiden Kriterien erfüllt waren. S. auch T 673/12 und T 2438/13, die die drei Voraussetzungen für die Prüfung der Neuheit zitiert hat.
In T 230/07 hielt die Kammer fest, dass Neuheit und erfinderische Tätigkeit zwei verschiedene Patentierbarkeitserfordernisse darstellen und deshalb unterschiedliche Kriterien für ihre Bewertung heranzuziehen sind. So ist etwa das Vorliegen oder Fehlen einer technischen Wirkung in einem Teilbereich numerischer Zahlenwerte bei der Beurteilung der Neuheit irrelevant. Um einem Teilbereich aus einem breiteren Bereich numerischer Zahlenwerte Neuheit zuzuerkennen, sollte der ausgewählte Teilbereich eng und ausreichend entfernt von dem durch Beispiele veranschaulichten bekannten, breiteren Bereich sein. Ein Teilbereich wird nicht neu durch eine neu entdeckte Wirkung, die in ihm auftritt.
In T 1130/09 wurde in der angefochtenen Entscheidung zur Beurteilung der Neuheit das Prinzip der Auswahlerfindung unter Anwendung der drei in der Entscheidung T 198/84 entwickelten Kriterien (s. ABl. 1985, 209) herangezogen. Die Beschwerdekammer führte aus, dass dieses Prinzip anzuwenden sei, wenn die Auswahl eines engen Teilbereiches aus einem größeren Bereich erfolgt. Die Passage auf Seite 9, Zeilen 5 bis 7 der Druckschrift (2) offenbarte, dass die Strukturgrößen im Bereich von Nanometern oder Mikrometern lagen. Daher stellte der spezifische beanspruchte Bereich eine enge Auswahl dar, die in Ermangelung von Beispielen in der Druckschrift (2) auch als weit entfernt von den zentralen Ausführungsformen der Druckschrift (2) zu werten war. Die Kammer stellte fest, dass die ersten beiden Kriterien, wie in T 198/84 definiert, somit erfüllt waren. Das dritte Kriterium, wonach für einen engeren beanspruchten Bereich ein technischer Effekt nachzuweisen war, musste für die Beurteilung der Neuheit jedoch außer Betracht bleiben, da die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit zwei voneinander getrennte Erfordernisse der Patentierbarkeit darstellen. Ein technischer Effekt, der in dem engeren beanspruchten Bereich auftritt, begründet nicht die Neuheit eines an sich bereits neuen Zahlenbereichs, sondern gilt lediglich als Bestätigung für die bereits festgestellte Neuheit dieses engeren beanspruchten Zahlenbereichs. Die Frage, ob ein technischer Effekt vorhanden ist oder nicht, bleibt jedoch eine Frage der erfinderischen Tätigkeit (dieser Ansatz wird in zahlreichen Entscheidungen angewandt, s. T 1233/05, T 1131/06, T 230/07, T 913/07, T 2041/09, T 492/10, T 1948/10, T 423/12, T 378/12, T 1404/14 und T 261/15) In T 378/12 war die Kammer in Bezug auf das Kriterium c der Ansicht, dass die gezielte Auswahl für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, nicht aber der Neuheit relevant ist. Da der beanspruchte Unterbereich die Kriterien a und b erfüllte, befand die Kammer daher den Gegenstand des Anspruchs 1 für neu.