2.4. Widerlegbare Vermutung der Prioritätsberechtigung
2.4.3 Umkehr der Beweislast und starke Vermutung
Die widerlegbare Vermutung ist mit einer Umkehr der Beweislast verbunden, d. h. ein Beteiligter, der die Prioritätsberechtigung des Nachanmelders anficht, muss nachweisen, dass die Berechtigung fehlt. Besteht eine starke Vermutung, so ist die Hürde für ihre Widerlegung höher als bei einer schwachen Vermutung (G 1/22 und G 2/22, Nr. 110 der Gründe mit Zitat aus T 63/06).
Die Vermutung, dass der Nachanmelder zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt ist, ist unter normalen Umständen eine starke Vermutung, da die anderen Prioritätserfordernisse (die die Grundlage für die Vermutung der Prioritätsberechtigung bilden) in der Regel nur mit Zustimmung und sogar Mitwirkung des Prioritätsanmelders erfüllt werden können (G 1/22 und G 2/22, Nr. 110 der Gründe). Wer die Prioritätsberechtigung anficht, darf somit nicht nur spekulative Bedenken äußern, sondern muss nachweisen, dass konkrete Tatsachen ernsthafte Zweifel an der Prioritätsberechtigung des Nachanmelders begründen. Siehe T 2719/19 vom 20. November 2023 date: 2023-11-20, T 2360/19 vom 5. März 2024 date: 2024-03-05, T 521/18, T 2643/16 vom 3. Juni 2024 date: 2024-06-03 und T 419/16 vom 24. Juni 2024 date: 2024-06-24 in Kapitel II.D.2.5.4 und II.D.2.6.1. S. auch T 1698/21.
In T 2224/21 bestritt der Beschwerdeführer (Einsprechende) die Prioritätsberechtigung des Anmelders und argumentierte, dass die Beweislast beim Beschwerdegegner (Patentinhaber) liege, da dieser die relevanten nichtöffentlichen Informationen zu dem streitgegenständlichen Rechtsübergang besitze. Unter Anwendung von G 1/22 befand die Kammer, dass eine widerlegbare Vermutung der Prioritätsberechtigung bestand. Der Beschwerdeführer hatte lediglich spekulative Bedenken geäußert, ohne Beweise dafür zu liefern. Die Beweismittel des Beschwerdegegners hingegen untermauerten die starke Vermutung. Die Kammer konnte angesichts dieser Sachlage keinen Grund erkennen, weshalb die angebliche Unterlassung des Beschwerdegegners, schriftliche Beweise in Form von Geschäftsverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Parteien vorzulegen, zu seinen Lasten gehen sollte. Darüber hinaus befand sich der Beschwerdeführer nicht in einer Situation, in der sich sämtliche Beweise für die Widerlegung der Berechtigungsvermutung ausschließlich in Händen des Beschwerdegegners befunden hätten. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass der Beschwerdegegner prioritätsberechtigt war.
Für die Kammer in T 1975/19 verankert G 1/22 eine starke Gültigkeitsvermutung und erlegt dem Einsprechenden die Beweislast des Gegenteils auf. Fehlende Beweismittel für eine Übertragung des Prioritätsrechts auf den Nachanmelder können daher nicht mit einem Beweis, dass besagte Übertragung nicht stattgefunden hat, gleichgesetzt werden. Mangels weiterer Umstände zeigt der Beweis der Kammer zufolge, dass das Prioritätsrecht an einen Dritten, bei dem es sich nicht um den Nachanmelder handelt, übertragen wurde, auch nicht, dass dieses Prioritätsrecht nicht wiederum weiter an den Nachanmelder übertragen wurde. Wie in G 1/22 dargelegt, gilt diese Vermutung auch dann, wenn der Anmelder das Recht auf die Nachanmeldung nicht vom Prioritätsanmelder erworben hat, sondern von einem Dritten, der im betreffenden Hoheitsgebiet das Recht auf die Erfindung hat. Diese Vermutung gilt umso mehr im vorliegenden Fall, als es sich bei allen Beteiligten um ein und demselben Konzern angehörige juristische Personen und ihre Beschäftigten handelte.
Siehe auch T 521/18 und T 518/22 in II.D.2.5.4, in denen die Kammer die Vermutung auf Patentanmeldungen anwandte, die als Stand der Technik zitiert wurden.
- T 0098/23
In T 98/23 the patent related to a CRISPR-Cas 9 composition for therapeutic use. It was based on a European patent application resulting from an international PCT application claiming priority from 13 earlier US applications including P1, P2, P3, P5 and P13. In its decision revoking the patent, the opposition division had found that formal entitlement to priority from P1, P2, P5 and P13 had not been validly claimed because not all applicants of these priority applications were named in the subsequent application leading to the patent. Thus, novelty and inventive step were examined based only on documents published before P3, in particular D10. The subject-matter of claim 1 of the patent as granted was found to lack novelty over the disclosure of D10.
References to G 1/22 in this abstract should be understood as referring to both G 1/22 and G 2/22.
The board explained that, as in T 844/18, T 2360/19, T 2516/19 and T 2689/19, the issue was whether Mr Marraffini as one of the claimed inventors or The Rockefeller University as his successor in title, had given their consent to the subsequent filing of the patent application in question. A further issue was whether The President and Fellows of Harvard College had given their consent to the subsequent filing of the patent application. The presumption, following G 1/22, is that they did. This presumption may be rebutted.
The board recalled that according to G 1/22, the presumption of priority entitlement, by way of an implicit (implied/informal or tacit) agreement on the transfer of the right to claim priority "under almost any circumstances" applied to any case where the subsequent applicant was not identical with the priority applicant. Also ex-post (retroactive, nunc pro tunc, ex tunc) transfers concluded after the filing of the subsequent application were valid. The presumption of an implied agreement was rebuttable. To question the implied agreement, evidence was thus needed that such agreement had not been reached or was fundamentally flawed.
In the board's opinion, there was no evidence that rebutted the presumption in this case, rather there was evidence on file that supported the presumption. The inventorship dispute between Mr Marraffini/The Rockefeller University and Mr Zhang/The Broad Institute Inc/Massachusetts Institute of Technology had been settled in 2018 by decision of an arbitrator. Applying G 1/22, the settlement by arbitration contained (and confirmed that there was), at least, an implicit agreement nunc pro tunc. Thus, the presumption of entitlement to priority was on the earliest date on which priority was claimed, 12 December 2012. G 1/22 explicitly also stated that "the presumption of entitlement exists on the date on which the priority is claimed and the rebuttal of the presumption must also relate to this date", and that "later developments cannot affect the rebuttable presumption". As being retroactive, the at least implicit transfer agreement by way of the settlement of the inventorship dispute related to this date, and confirmed the presumption of entitlement to exist on this date.
As to whether The President and Fellows of Harvard College had given their consent, no evidence had been filed by the opponents either establishing that the real priority right holder did not allow the subsequent applicants to rely on the priority (see also T 1975/19).
The board concluded that entitlement to priority had been validly claimed in view of G 1/22. The case was remitted to the opposition division for a fresh assessment of the patentability requirements of the main request (the patent as granted), based on a valid priority entitlement to P1.