2.5. Gemeinsame Anmelder bei der Nachanmeldung
2.5.4 Anwendung von G 1/22 und G 2/22 durch die Kammern – Mitanmelder bei der Nachanmeldung
G 2/22 wurde erstmals in T 2719/19 vom 20. November 2023 date: 2023-11-20, der Vorlagesache in G 2/22, angewandt (zusammengefasst in Kapitel II.D.2.5.3). Die Kammer erinnerte an die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer, dass es eine widerlegbare Vermutung nach dem autonomen Recht des EPÜ gibt, wonach ein Anmelder, der eine Priorität unter Beachtung des Art. 88 (1) EPÜ und der entsprechenden Regeln der Ausführungsordnung beansprucht, zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt ist, und dass diese Vermutung auf den Sachverhalt im vorliegenden Streitfall zutraf. Darüber hinaus hatte die Große Beschwerdekammer entschieden, dass in der Situation im vorliegenden Fall, in dem die PCT-Anmeldung vom Beteiligten A (als Erfinder und Anmelder nur für die USA) gemeinsam mit dem Beteiligten B (als Anmelder für alle anderen Bestimmungsstaaten) eingereicht wurde und die Priorität einer früheren Patentanmeldung beansprucht wurde, in der nur der Beteiligte A als Anmelder genannt ist, die gemeinsame Einreichung der PCT-Anmeldung – falls keine erheblichen tatsächlichen Anhaltspunkte dagegen sprechen – eine Abrede zwischen den Beteiligten A und B impliziert, welche den Beteiligten B zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt. Der Kammer zufolge wurden weder in der angefochtenen Entscheidung erhebliche tatsächliche Anhaltspunkte dagegen angeführt, noch waren der Kammer solche Anhaltspunkte bekannt. Die Kammer befand, dass die Beschwerde begründet war (die Priorität war wirksam) und verwies den Fall zurück an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung, das Patent zu erteilen.
G 1/22 und G 2/22 wurden auch im Zusammenhang mit Patentanmeldungen angewandt, die als Stand der Technik zitiert wurden. In der Sache T 521/18 zur Anwendung, in der der Patentinhaber Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt hatte, das Patent wegen mangelnder Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 5 von Hilfsantrag 3 (Hauptantrag im Beschwerdeverfahren) gegenüber der Offenbarung von Dokument D4 zu widerrufen. Die Einspruchsabteilung vertrat die Auffassung, dass die im Namen eines Unternehmens (für die Bestimmungsstaaten außer den USA) und von zehn Erfindern/Anmeldern (nur für die USA) eingereichte D4 zur Inanspruchnahme der Priorität der Anmeldung P4 (D4a) berechtigt war, die im Namen von sieben der zehn Erfinder/Anmelder von D4 eingereicht worden war. Die Kammer befand, dass im vorliegenden Fall die starke Vermutung der Prioritätsberechtigung vorlag. Eine solche Vermutung kann nur bei Vorliegen "ernsthafter Zweifel", die auf konkreten Tatsachen oder eindeutigen Hinweisen auf das Gegenteil gründen, widerlegt werden. Nach Auffassung der Kammer waren die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel nicht dazu geeignet, die Vermutung zu widerlegen. Siehe auch T 518/22.
Siehe auch T 2224/21, zusammengefasst in Kapitel II.D.2.4.3., T 2643/16 vom 3. Juni 2024 date: 2024-06-03 und T 2132/21.