2.5. Gemeinsame Anmelder bei der Nachanmeldung
2.5.3 "Gemeinsame Anmelder nach dem PCT"-Ansatz in G 1/22 und G 2/22
Die zweite, der Großen Beschwerdekammer in G 1/22 und G 2/22 vorgelegte Frage betraf die besondere Situation, in der ein Beteiligter (in der Regel der bzw. die Erfinder) eine US-amerikanische Prioritätsanmeldung (einschließlich in Form einer vorläufigen Anmeldung) einreicht, die dann als Prioritätsanmeldung für eine spätere PCT-Anmeldung verwendet wird, in der ein Beteiligter (in der Regel ebenfalls der bzw. die Erfinder) nur für die USA benannt wird und ein anderer Beteiligter (in der Regel der Arbeitgeber des Erfinders bzw. der Erfinder) für regionalen europäischen Patentschutz. Vor dem Inkrafttreten des "America Invents Act" von 2011 konnten nur der bzw. die Erfinder Anmelder einer US-Patentanmeldung sein. Die der Vorlage zugrunde liegende (2004 eingereichte) Prioritätsanmeldung musste gemäß dem damals geltenden Recht von den Erfindern eingereicht werden.
In den beiden der Vorlage in G 1/22 und G 2/22 zugrunde liegenden Rechtssachen T 1513/17 und T 2719/19 date: 2022-01-28 hatte die Einspruchsabteilung bzw. die Prüfungsabteilung den Prioritätsanspruch für unwirksam befunden. Dies hatte wegen Neuheitsmangel zum Widerruf des Patents (T 1513/17) bzw. der Zurückweisung der Patentanmeldung (T 2719/19 date: 2022-01-28) geführt. Die Anmeldung, auf deren Grundlage das Patent in T 1513/17 erteilt wurde (und von der sich die Anmeldung in T 2719/19 date: 2022-01-28 ableitete), war als internationale Anmeldung nach dem PCT ("PCT-Anmeldung") eingereicht worden. Sie benannte (i) die drei Erfinder als Anmelder nur für die USA und (ii) andere (juristische) Personen einschließlich des Beschwerdeführers ("Beteiligter B") als Anmelder für alle anderen Bestimmungsstaaten. Die PCT-Anmeldung beanspruchte die Priorität einer im Namen der drei Erfinder eingereichten vorläufigen US-Anmeldung. Die Einspruchsabteilung und die Prüfungsabteilung befanden die Inanspruchnahme der Priorität für unwirksam, da vor der Einreichung der PCT-Anmeldung nur einer der drei Erfinder dem Beteiligten B das Prioritätsrecht übertragen hatte. Somit war die Zwischenliteratur neuheitsschädlich.
Auch wenn die Kammern den "Gemeinsame Anmelder"-Ansatz für reguläre europäische Patentanmeldungen anerkannt hatten (s. Kapitel II.D.2.5.2.), wurde die Anwendung dieses Ansatzes auf eine PCT-Anmeldung mit verschiedenen Anmeldern für verschiedene Bestimmungsgebiete in der Vorlageentscheidung infrage gestellt. Die vorlegende Kammer befasste die Große Beschwerdekammer mit zwei Fragen. Zu Frage I bezüglich der Zuständigkeit des EPA für die Feststellung der Prioritätsberechtigung siehe Kapitel II.D.2.2.1. Frage II lautete wie folgt: "(II) Falls die Frage I bejaht wird:
Kann sich ein Beteiligter B wirksam auf das in einer PCT-Anmeldung beanspruchte Prioritätsrecht berufen, um Prioritätsrechte nach Art. 87 (1) EPÜ in Anspruch zu nehmen, wenn:
1) in einer PCT-Anmeldung der Beteiligte A als Anmelder nur für die Vereinigten Staaten und der Beteiligte B als Anmelder für andere Bestimmungsstaaten genannt ist, die den regionalen europäischen Patentschutz einschließen, und
2) die PCT-Anmeldung die Priorität einer früheren Patentanmeldung beansprucht, in der der Beteiligte A als Anmelder genannt ist, und
3) die in der PCT-Anmeldung beanspruchte Priorität Art. 4 der Pariser Verbandsübereinkunft entspricht?"
Die Große Beschwerdekammer befand, dass die widerlegbare Vermutung, wonach ein Anmelder, der eine Priorität unter Beachtung des Art. 88 (1) EPÜ beansprucht, zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt ist (s. Kapitel II.D.2.4.1.), auch in Fällen gilt, in denen die europäische Patentanmeldung auf einer PCT-Anmeldung beruht und/oder der bzw. die Prioritätsanmelder und der bzw. die Nachanmelder nicht identisch sind. Darüber hinaus bekräftigte die Große Beschwerdekammer das Konzept einer impliziten Abrede (s. Kapitel II.D.2.5.5.). Der Großen Beschwerdekammer zufolge ist eine allgemeine Entscheidung über die Tragfähigkeit des "Gemeinsame Anmelder nach dem PCT"-Ansatzes nicht erforderlich. Das Konzept einer impliziten Abrede sollte eine Beurteilung ermöglichen, die in den meisten Fällen zu dem gleichen Ergebnis führen dürfte wie der "Gemeinsame Anmelder nach dem PCT"-Ansatz (G 1/22 und G 2/22, Nrn. 118 bis 121 der Gründe). Zur Anwendung dieser Entscheidung durch die vorlegende Kammer in T 2719/19 vom 20. November 2023 date: 2023-11-20, siehe Kapitel II.D.2.5.4. (in T 1513/17 wurde die Beschwerde zurückgenommen).