2.5.5 Implizite Abrede

In G 1/22 und G 2/22 kam die Große Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass – falls keine erheblichen tatsächlichen Anhaltspunkte dagegen sprechen – die gemeinsame Einreichung der PCT-Anmeldung durch Beteiligten A und Beteiligten B hinreichend belegt, dass die Beteiligten eine implizite Abrede eingegangen sind, wonach der Beteiligte B die Priorität in Anspruch nehmen kann (G 1/22 und G 2/22, Nr. 125 der Gründe, Nr. II der Entscheidungsformel).

Da die Erwägungen, die zu dieser Schlussfolgerung führten, nicht nur für PCT-Anmeldungen gelten, sind der Großen Beschwerdekammer zufolge das Konzept und die Bedingungen der impliziten Abrede ebenso auf Mitanmelder anwendbar, die direkt eine europäische Nachanmeldung einreichen, wenn mindestens einer der Mitanmelder auch Anmelder der Prioritätsanmeldung war. Sie gelten hingegen nicht für Mitanmelder der Prioritätsanmeldung, die nicht an der Nachanmeldung beteiligt sind (s. Kapitel II.D.2.6.2).

Um die implizite Abrede infrage stellen zu können, wären Beweise dafür erforderlich, dass keine Abrede über die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts erzielt wurde oder diese grundlegende Mängel aufweist. Tatsächliche Anhaltspunkte, die die implizite Abrede infrage stellen, müssen bedeutsam sein und von dem Beteiligten vorgebracht werden, der die implizite Abrede infrage stellt. Darüber hinaus ist die implizite Abrede nach dem autonomen Recht des EPÜ zu beurteilen, das keine Formerfordernisse für die Übertragung von Prioritätsrechten vorsieht (G 1/22 und G 2/22, Nrn. 125 und 126 der Gründe). Siehe T 2719/19 date: 2023-11-20 in Kapitel II.D.2.5.3.

In T 2132/21 beanspruchte das Patent die Priorität einer im Namen von vier Erfindern eingereichten US-Anmeldung. In der PCT-Anmeldung, die zum Patent führte, wurden die vier Erfinder ausschließlich für die USA als Anmelder genannt; für alle anderen Staaten wurde ein Unternehmen als Anmelder genannt. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) argumentierte mit der Unwirksamkeit der Priorität, da nichts beweise, dass die Prioritätsrechte vor Einreichung der PCT-Anmeldung auf den Beschwerdegegner übertragen worden waren. Unter Anwendung von G 1/22 und G 2/22 befand die Kammer, dass die gemeinsame Einreichung der PCT-Anmeldung mangels das Gegenteil belegender Beweismittel das Vorliegen einer impliziten Abrede über die gemeinsame Nutzung des Prioritätsrechts hinreichend belegt.