8.10. Niederschrift der mündlichen Verhandlung (Regel 124 EPÜ)
8.10.1 Inhalt der Niederschrift
In T 642/97 stellte die Kammer fest, dass die Niederschrift nach R. 76 EPÜ 1973 (R. 124 EPÜ) nicht die vollständigen Argumente der Beteiligten widerspiegeln müsse. Es liege im Ermessen des Protokollführers, was "wesentlich" bzw. "rechtserheblich" sei (s. auch T 212/97; s. auch T 468/99, T 2185/15, T 2370/16: Es liegt in der Verantwortung der Kammer, zu entscheiden, was in die Niederschrift aufgenommen werden muss; T 1608/22). Während die Niederschrift die Anträge oder ähnlich wichtige verfahrensrechtliche Erklärungen enthalten müsse, gingen die meisten Argumente zur Patentierbarkeit aus den früheren Schriftsätzen oder aus dem Sachverhalt und den Anträgen in der schriftlichen Entscheidung hervor, weshalb sie in der Niederschrift nicht enthalten sein müssten.
In T 263/05 (ABl. 2008, 329) stellte die Kammer fest, dass die Anträge der Beteiligten in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer aufzuführen sind, über die die Beschwerdekammer zu entscheiden hat, also z. B. Anträge zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Beschwerde, Anträge zur Fassung, in der das Patent nach Auffassung des Patentinhabers aufrechterhalten werden soll, Anträge auf Zurückverweisung der Sache oder Anträge bezüglich der Beschwerdegebühren oder Verfahrenskosten. Ferner sind in der Niederschrift spezielle Erklärungen festzuhalten, die Einfluss auf die Definition des Erfindungsgegenstands haben, wie z. B. Verzichtserklärungen, sofern sie für die zu treffende Entscheidung relevant sind (s. auch T 212/97, T 928/98, T 550/04, T 71/06, T 2351/08, T 1934/14 vom 8. Oktober 2018 date: 2018-10-08, T 2370/16). Nicht in die Niederschrift aufzunehmen sind die Argumente der Beteiligten betreffend die Patentierbarkeit; sie gehen aus dem Abschnitt "Sachverhalt und Anträge" der schriftlichen Entscheidung hervor.
Laut der Kammer in T 1934/14 vom 8. Oktober 2018 date: 2018-10-08 gehört ein Antrag auf Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zum wesentlichen Gang der mündlichen Verhandlung.
In T 397/03 befand die Kammer, dass der Inhalt von Anträgen, die eine Partei in einer mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht hat, ein wesentliches Element ist und in die Niederschrift aufgenommen werden sollte. In T 240/09 stellte die Kammer fest, dass für den Gang der mündlichen Verhandlung in einem Beschwerdeverfahren – was die Anträge der Beteiligten betrifft – nur die von dem Vorsitzenden vor Beendigung der sachlichen Debatte festzustellenden abschließenden Anträge wesentlich sind (Art. 15 (5) VOBK 2007); zurückgenommene Anträge sind für die Entscheidung der Kammer grundsätzlich ohne Bedeutung und daher nicht "wesentlich". Siehe auch T 957/99, T 966/99.
In T 231/99 sah die Kammer eine wesentliche Funktion der Niederschrift darin, für das Rechtsmittelgericht den Gang der mündlichen Verhandlung in der Vorinstanz darzustellen (s. auch T 1608/22).
In T 396/89 stellte die Kammer fest, dass in der Niederschrift über die Verhandlung sorgfältig festgehalten werden sollte, wenn ein Zugeständnis zu einem wesentlichen Punkt gemacht wird.
In T 1735/08 vom 27. September 2012 date: 2012-09-27 befand die Kammer, dass es nach R. 124 (1) EPÜ hingegen weder erforderlich noch in Verfahren vor der Beschwerdekammer üblich ist, in das Protokoll aufzunehmen, dass die Kammer eine vorläufige Auffassung über die Patentierungsvoraussetzungen vor der Verkündung der Entscheidung geäußert hat. Bei einer Entscheidung auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung erfolgen die Angabe des Anspruchssatzes und die Begründung, warum dieser Anspruchssatz, der die Grundlage für die weitere Entscheidung der ersten Instanz bildet, nach Ansicht der Beschwerdekammer einen Teil der Patentierungsvoraussetzungen erfüllt, nicht im Verhandlungsprotokoll, sondern in der Begründung der Entscheidung.
Nach T 317/09 bezieht sich die in R. 124 EPÜ geforderte Rechtserheblichkeit auf die von der Kammer zu treffenden Entscheidung. Die von dem Beschwerdeführer eingereichte Erklärung, wie er bestimmte Merkmale der Erfindung versteht, betraf weder den Gang der Verhandlung, noch war sie als subjektive Einschätzung des Beschwerdeführers für die von der Kammer zu treffende Entscheidung rechtserheblich. Siehe auch T 468/99.
In T 281/03 vom 17. Mai 2006 date: 2006-05-17 stellte die Kammer fest, dass es zur Wahrung des rechtlichen Gehörs eines ausdrücklichen und in der Niederschrift der Einspruchsabteilung festgehaltenen Schrittes bedurft hätte, wobei dem Einsprechenden Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, entweder vor der abschließenden Beratung der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit Stellung zu nehmen oder aber sich nach dieser Beratung zu der von ihr getroffenen Feststellung zu äußern, dass ein solcher Einwand prima facie nicht ersichtlich sei. Die Tatsache, dass dem Einsprechenden vor der abschließenden Beratung "noch einmal das Wort erteilt worden sei" bzw. dass er eine "letzte Stellungnahme abgegeben habe", die in der Niederschrift festgehalten wurde, genügt nicht, um dieses Erfordernis zu erfüllen.
In T 1359/04 wies die Kammer darauf hin, dass das Einführen von neuen Dokumenten von Seiten der Prüfungsabteilung erst in der mündlichen Verhandlung einen außergewöhnlichen Vorgang darstellt, bei dem äußerste Sorgfalt zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs für die Anmelderin geboten ist. In der Regel ist die Verhandlung zu unterbrechen, um der betroffenen Partei eine ausreichende Gelegenheit zum Studium des neuen Beweismaterials sowie zum Überdenken des Vortrags zu geben. Dabei ist es gerade der Zweck des Protokolls den ordnungsgemäßen Ablauf dieser Vorgänge zu dokumentieren.
In T 1798/08 erklärte die Kammer, dass es nicht Zweck der Niederschrift ist, Erklärungen wiederzugeben, die ein Beteiligter möglicherweise für relevant erachtet, wie z. B. die Erklärung, dass die Kammer den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Diese Erklärung betraf nicht den Verzicht auf Gegenstände und hatte auch keine sonstigen Auswirkungen auf die Definition des Gegenstands, mit dem sich die Kammer zu befassen hatte. Sie war weder Teil des wesentlichen Gangs der mündlichen Verhandlung noch für die Entscheidung relevant.
In R 14/09 stellte die Große Beschwerdekammer fest, dass ein Einwand nach R. 106 EPÜ in der Niederschrift festgehalten werden muss, da es sich um eine rechtserhebliche Erklärung eines Beteiligten handelt (s. R 17/10; s. auch R 2/12 vom 17. Oktober 2012 date: 2012-10-17 "zumindest auf Antrag eines Beteiligten", T 1934/14 vom 8. Oktober 2018 date: 2018-10-08). Der Kammer in T 1690/22 zufolge könne zum wesentlichen Gang der mündlichen Verhandlung, der in die Sitzungsniederschrift nach R. 124 (1) EPÜ aufzunehmen ist, auch der Umstand als solcher gehören, dass eine Rüge erhoben wurde, nicht aber die dazu von dem jeweiligen Beteiligten vorgebrachten und für die Zulässigkeit der Rüge erforderlichen Gründe und Argumente. Siehe Kapitel V.B.3.7.5 "Niederschrift über die mündliche Verhandlung als Nachweis für die Erhebung eines Einwands".
In T 2405/10 wollte der Beschwerdeführer eine Erklärung zum Aufgabe-Lösungs-Ansatz in die Niederschrift aufnehmen lassen, nachdem die Verhandlung bereits geschlossen war. Da die Erklärung nicht in der mündlichen Verhandlung erfolgte, gab es keinen Grund sie in die Niederschrift aufzunehmen.
- T 0744/23
In the course of the written proceedings before the board in T 744/23, the respondent (opponent) had requested, inter alia, that the oral proceedings be conducted in person. In its communication pursuant to Art. 15(1) RPBA the board had taken note thereof and had added that it would, however, be appropriate to hold the oral proceedings by videoconference pursuant to Art. 15a RPBA, as this would be the most sustainable format, and no particular reasons had been put forward nor had any been apparent, as to why this would not be appropriate in the present case.
Oral proceedings had been held by videoconference. Four weeks later, the respondent had submitted a request for correction of the minutes of the oral proceedings. The respondent had asked for text passages to be inserted dealing with its request to hold the oral proceedings in person. Referring to R. 124(1) EPC, the respondent argued that the requests of the parties without doubt represented "essentials of the oral proceedings" in the sense of this provision. It was therefore indispensable that the minutes summarise each of the requests brought forward by a party in the course of the procedure and elaborated on during the oral proceedings. Furthermore, it noted that the technical issues, which had affected the access of the board to the internet and, thus, the videoconference facility and required an interruption of the oral proceedings, underlined why a hearing in person had been mentioned as the optimum format and the "gold standard" in G 1/21.
The board rejected the respondent's request for correction of the minutes of the oral proceedings. It recalled that minutes of oral proceedings must contain, inter alia, the essentials of the oral proceedings and the relevant statements of the parties (R. 124(1) EPC). According to the jurisprudence of the boards of appeal, these essentials of the oral proceedings or the relevant statements of the parties were to be determined with a view to what the board may have to decide on (e.g. T 966/99, T 263/05, T 262/17, T 1891/20). This also applied to statements disposing of the subject-matter of the appeal proceedings or parts thereof. However, the minutes did not have to contain the complete arguments of the parties (e.g. T 118/20 and T 1891/20). All the more so, the minutes may not contain arguments or statements of the parties which they considered to be (only) of use in subsequent proceedings before national courts or the Unified Patent Court and which had no bearing on the decision of the board (T 966/99, T 263/05, T 262/17).
The board stated that the format of the oral proceedings was an ancillary question which was regularly not to be dealt with in the order of a (substantive) decision. The choice of format was a discretionary procedural decision (G 1/21, R 12/22) which had to be made ex officio in advance, in accordance with the criteria of Art. 15a(1) RPBA ("appropriateness"). It therefore did not concern, in itself, the essentials of the oral proceedings, nor were the statements made in the oral proceedings, which related to their format as such, relevant statements within the meaning of R. 124(1) EPC.
The board noted that the oral proceedings in this case had been affected by a general network failure on the EPO premises and that this was already reflected in the minutes. However, the discussions which the respondent also wished to have included in the minutes related solely to the format of the oral proceedings, and to its request for in-person oral proceedings, which it had made in writing before, and which had already been addressed in the board's communication. The board concluded that, contrary to the respondent's contention, not all "requests of the parties without doubt represent 'essentials of the oral proceedings'" to be included in the minutes by default, but only under the requirements as also outlined above (e.g. T 1891/20). In particular, the request concerning the format of the oral proceedings and the related discussions, which the respondent wished to have reflected in the minutes, did not fulfil these requirements. There was no connection between the technical issues caused by the network failure during the oral proceedings and these discussions. Likewise, these technical issues had not, in retrospect, made the respondent's request and the discussions on the format of the oral proceedings essential.