4.5.4 Zulassung neuer Anträge
Im Fall T 2482/22, in dem es um das letzte Stadium des Beschwerdeverfahrens ging, wies die Kammer das Argument zurück, wonach die Sorge um die Beständigkeit der vom EPA erteilten Patente Vorrang vor jedem anderen Argument haben müsse. Dies habe der Gesetzgeber anders gesehen, wie klar aus Art. 12 (2) VOBK hervorgehe. Dementsprechend kann eine Partei ihr Vorbringen nur in sehr begrenztem Maße ändern oder ergänzen, wobei die Hürden mit fortschreitendem Beschwerdeverfahren immer höher werden. Siehe hierzu auch die Zusammenfassung in Kapitel V.A.4.5.1 d). Siehe auch die Entscheidung T 967/16, in der die Kammer feststellte, dass es keine anerkannte Doktrin der "letzten Chance" oder ein uneingeschränktes Recht des Patentinhabers auf einen solchen Antrag als "letzte Chance" gibt (mit Verweis auf RBK, 9. Aufl. 2019, V.A.4.12.7 sowie auf T 837/07 und T 1624/16).
In T 1185/17 argumentierte der Beschwerdeführer, dass der nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 1 den Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ ausräume, auf den in der vorläufigen Einschätzung Bezug genommen wurde, und prima facie gewährbar sei. Die Kammer hob jedoch hervor, dass dies Kriterien nach Art. 13 (1) VOBK seien, die demnach für jede Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung der Beschwerdebegründung gelten und daher nicht zugleich stichhaltige Gründe sein können, die außergewöhnliche Umstände für die Berücksichtigung der Änderung nach Art. 13 (2) VOBK rechtfertigten. Siehe auch T 2787/17.
In T 2964/18 befand die Kammer, dass die Frage, ob Hilfsanträge 2a und 2b eindeutig gewährbar sein könnten, keinen Einfluss auf ihren Schluss habe, dass keine außergewöhnlichen Umstände vorlagen, die das Einreichen kurz vor der mündlichen Verhandlung hätten rechtfertigen können. Siehe ebenso T 1058/20, wonach die Prima-facie-Gewährbarkeit an sich keine außergewöhnlichen Umstände nach Art. 13 (2) VOBK begründet. Siehe auch T 975/20, T 1959/19 und T 1610/22.
Demgegenüber enthält Kapitel V.A.4.5.4 k) "Änderung nicht der Verfahrensökonomie abträglich und kein anderer Beteiligter benachteiligt" Entscheidungen, in denen die eindeutige Gewährbarkeit in Verbindung mit der Tatsache, dass kein anderer Beteiligter benachteiligt wurde, als außergewöhnliche Umstände angesehen wurde und verspätet eingereichte Anträge zugelassen wurden. Siehe auch Kapitel V.A.4.5.4 j) "Streichung von Ansprüchen oder von Alternativen in Ansprüchen". In T 541/20 betonte die Kammer, dass es einem der erklärten Ziele der VOBK – nämlich die Effizienz zu steigern, indem die Zahl der zu verhandelnden Fragen reduziert wird – widerspräche, wenn eine Kammer bei der Entscheidung über die Zulassung eines Antrags, der den entsprechenden Fall beträchtlich vereinfacht (etwa durch die Streichung abhängiger Ansprüche) das Kriterium der Prima-facie-Gewährbarkeit nicht berücksichtigten dürfte.
In anderen Fallkonstellationen spielt Prima-facie-Gewährbarkeit eine Rolle als ein Kriterium für die Ermessensausübung, das zur Nichtzulassung führen kann, selbst wenn der eingereichte Anspruchssatz eine zeitgerechte Antwort auf neue Einwände darstellt. Siehe dazu Kapitel V.A.4.5.4 e) "Kein Freibrief zur Änderung von Ansprüchen nach Belieben – Kriterien aus den Artikeln 13 (1) und 12 (4) VOBK".