1. Einleitung
1.2. Zweck des Prioritätsrechts
Das Prioritätsrecht gilt generell als einer der Eckpfeiler der PVÜ. Sein Hauptzweck besteht darin, für begrenzte Zeit die Interessen eines Patentanmelders, der internationalen Schutz für seine Erfindung erlangen will, zu wahren und so die negativen Auswirkungen des Territorialitätsprinzips zu mildern (vgl. T 15/01, ABl. 2006, 153, zitiert in G 1/22 und G 2/22, ABl. 2024, A50, Nr. 54 der Gründe). Die Vorschriften der PVÜ und das eigenständige Prioritätssystem des EPÜ sollten auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die gewährleistet, dass der vorstehend genannte generelle Zweck so weit wie möglich erfüllt wird (T 15/01, ABl. 2006, 153, bestätigt in T 5/05, zitiert in G 1/22 und G 2/22, Nr. 54 der Gründe).
Das Prioritätssystem ermöglicht es einer Person, die eine Patentanmeldung in einem in Art. 87 (1) EPÜ genannten Staat einreicht, für dieselbe Erfindung ein Bündel von Nachanmeldungen in einer frei wählbaren Gruppe anderer Hoheitsgebiete einzureichen, wobei jede der späteren (nationalen oder regionalen) Anmeldungen den Prioritätstag der ersten Anmeldung beanspruchen kann. Zum einen erlaubt es die zwölfmonatige Prioritätsfrist dem Anmelder, zu prüfen, wo Patentschutz beantragt werden sollte. Zum anderen gewährleistet die klare zeitliche Begrenzung dieser Frist Rechtssicherheit für Dritte, die die geografische Ausdehnung des unter Umständen für sie relevanten Patentschutzes kennen müssen (G 1/22 und G 2/22, Nr. 55 der Gründe).