4.2.3 Zweite und dritte Stufe des Konvergenzansatzes: Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten – Artikel 13 (1) und (2) VOBK
Eine Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Art. 13 VOBK stellt analog zu Art. 12 (4) VOBK (mit Bezug auf Art. 12 (2) VOBK) ein Vorbringen dar, das sich nicht auf die Anträge, Tatsachen, Einwände und Beweismittel richtet, die der Beteiligte in seiner Beschwerdebegründung oder seiner Erwiderung geltend gemacht hat. Anders gesagt, sie liegt außerhalb des darin festgelegten Rahmens (T 247/20 und T 2988/18, bestätigt z. B. in T 907/20, T 19/20, T 499/20). Allerdings muss es den Beteiligten gestattet sein, ihre Argumente zu präzisieren, sie sogar zu ergänzen, sofern sie im Rahmen der rechtzeitig im schriftlichen Verfahren vorgetragenen Argumente und Beweismittel bleiben (T 247/20, bestätigt in T 2605/18, T 2623/18 und T 1132/22).
Diese Definition wurde in T 247/20 wie folgt erläutert: Die VOBK enthielten keine Definition von "Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten", würden jedoch helfen zu bestimmen, was mit "Änderung" und dem "vollständigen Beschwerdevorbringen eines Beteiligten" gemeint sei. Gemäß Art. 12 (3) VOBK müsse angegeben werden, warum die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen sei, und es sollten ausdrücklich und spezifisch "alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel" angeführt werden. Art. 12 (4) VOBK definiere, was mit einer Änderung gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren gemeint sei, nämlich alles, was nicht die Erfordernisse von Art. 12 (2) VOBK erfülle. So sei eine Änderung – abgesehen von einer eindeutig definierten Ausnahme – das, was sich nicht "auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel [richtet], die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen". Die Kammer übertrug diese Definition dann auf Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten. Im vorliegenden Fall zielten alle vom Beschwerdeführer während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente, gegen die Beschwerdegegner 2 Einwände erhob, darauf ab, die bereits mit der Beschwerdebegründung vorgetragenen Argumente zu veranschaulichen, zu präzisieren oder weiterzuentwickeln und die von Beschwerdegegner 2 in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente zu widerlegen, und kamen nach Ansicht der Kammer nicht einer Änderung des Beschwerdevorbringens des Beschwerdeführers gleich.
Ebenso befand die Juristische Beschwerdekammer in J 14/19, dass im Sinne einer systematischen Auslegung die Frage, ob ein Vorbringen eine "Änderung des Beschwerdevorbringens" im Sinne des Art. 13 VOBK bewirkt, unter Heranziehung der in Art. 12 (2) VOBK enthaltenen Aufzählung der möglichen Bestandteile von Beschwerdevorbringen zu beantworten ist. Art. 12 (3) VOBK bezieht sich ebenfalls auf diese Bestandteile. Siehe auch T 101/18 und T 1042/18.
In T 100/18 erläuterte die Kammer jedoch, der vom Beschwerdeführer (Einsprechenden) angeführte Art. 12 (3) VOBK nenne zwar Anforderungen an Beschwerdebegründung und Erwiderung, er definiere jedoch nicht, was als Änderung des Beschwerdevorbringens anzusehen sei. Vielmehr stellte die Kammer allein auf die Erfüllung der Erfordernisse nach Art. 12 (2) VOBK ab. Im betreffenden Fall ging der Inhalt eines erst nach der Frist zur Erwiderung eingegangenen Schreibens nicht über die Anträge, Tatsachen, Argumente und Beweismittel hinaus, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen. Das Vorbringen erfüllte daher die Erfordernisse des Art. 12 (2) VOBK und war auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens gerichtet, nämlich die gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung.
Die Juristische Beschwerdekammer hob in J 14/19 ferner hervor, dass auf Ebene des EPÜ die Möglichkeit, verspätetes Vorbringen nicht zuzulassen, in Art. 114 (2) EPÜ geregelt ist (im Hinblick auf Änderungen der Patentanmeldung oder des Patents ergänzt durch Art. 123 (1) EPÜ). Auf Grundlage von Art. 114 (2) EPÜ könne verspätetes Vorbringen, das ein Tatsachenelement enthält, unberücksichtigt bleiben. Siehe auch T 1042/18.
In T 482/18 stimmte die Kammer der in T 1914/12 vertretenen Auffassung zu, wonach die Beschwerdekammern bei der Zulassung spät vorgebrachter Argumente, die sich auf bereits im Verfahren befindliche Tatsachen stützen, keinen Ermessensspielraum haben, teilweise zu. Art. 114 (2) EPÜ 1973 (bei der Revision 2000 unverändert geblieben) stelle keine Grundlage dar, um Argumente zurückzuweisen. Die Kammer fasste aber den Begriff "Argument" eng und setzte ihn mit Rechtsausführungen gleich (s. hierzu auch Kapitel V.A.4.2.3 l) und V.A.4.2.3 p)). Die Kammer widersprach auch der Auffassung, wonach die sich aus den Patentdokumenten ergebenden Tatsachen ohne ausdrückliche Geltendmachung Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind (s. unten Kapitel V.A.4.2.3 n)).
- T 0449/23
In T 449/23, the board rejected the patent proprietor's argument that auxiliary requests 2 to 8 were part of the appeal proceedings from the outset within the meaning of Art. 12 RPBA. These requests had not even been mentioned in their statement of grounds of appeal or their reply (to the opponent's statement of grounds of appeal).
Regarding the interpretation of "any amendment to a party's appeal case" in Art. 13(2) RPBA, the board pointed out that the reference point for determining an "amendment" under Art. 13(2) RPBA was not the same as under Art. 12(4) RPBA.
Art. 12(4) RPBA defined an "amendment", by way of reference to Art. 12(2) RPBA, as any matter departing from the framework of the decision under appeal (i.e. the requests, facts, objections, arguments and evidence underlying the contested decision), unless this matter had been admissibly raised and maintained in the proceedings leading to the decision under appeal. The reference point in Art. 13(1) and (2) RPBA, on the other hand, was the party's complete case as determined by Art. 12(1) to (6) RPBA.
Hence, the amendment referred to in Art. 12(4) RPBA was an amendment of the party's case relative to its requests, facts, evidence, arguments and objections on which the decision under appeal was based. This was distinct from "amendments to a party's appeal case" in Art. 13(2) RPBA, carried out at a later stage of the appeal proceedings relative to earlier submissions in appeal. The admissibly raised criterion of Art. 12(4) RPBA was not relevant to the question whether a claim request represented an amendment to a party's appeal case under Art. 13(2) RPBA.
Consequently, the board rejected the argument of the patent proprietor according to which auxiliary requests 2 to 8 were "carry-over" requests and therefore merely the criteria set out in Art. 12(4) RPBA had to be applied to determine whether these requests represented an amendment to the appeal case within the meaning of Art. 13(2) RPBA. The board distinguished the case in hand, where the relevant requests were submitted one day before oral proceedings before the board, from the procedural situation underlying T 246/22, where the relevant requests had been submitted with the statement of grounds of appeal.
Regarding auxiliary request 6, which differed from the claims of the main request (claims as granted) solely by the deletion of independent claims 1 and 2, the board agreed with the reasoning set out in T 2091/18 and J 14/19 and held that any new and amended claim request was to be considered as an amendment to the party's appeal case. In the board's view, the filing of a new claim request always had to have a substantive purpose related to the potential outcome of the patent proprietor's appeal case. The board concluded that if there was such a substantive reason for filing the new set of claims, there was an amendment to the party's case. The board also observed that even when following the line of case law that considered a deletion of (an alternative in) an independent claim to be an amendment in the sense of Art. 13(2) RPBA only if it altered the factual and legal framework of the proceedings, it came to the same conclusion. In fact, even if the remaining subject-matter was encompassed by the claims of previously pending claim requests, the deletion created a new object which shifted the discussion in that the amendment "moved the target" out of the focus of the objections that had been debated on appeal so far.
Since no justification for the late filing of these requests had been submitted by the patent proprietor, nor did the board see any, the board found that there were no exceptional circumstances within the meaning of Art. 13(2) RPBA. Based on a systematic interpretation of Art. 13(1) and (2) RPBA, the board did not agree with the approach taken e.g. in T 2295/19, according to which exceptional circumstances were present if allowing the amendment was not detrimental to procedural economy.