4.3.5 Unvollständiges Vorbringen in Beschwerdebegründung oder Erwiderung – Substantiierungserfordernis – Artikel 12 (3) und (5) VOBK
Nach den geltenden Grundsätzen der VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten (Art. 12 (3) VOBK, im Wesentlichen entsprechend Art. 12 (2) VOBK 2007). Zweck dieser Bestimmung, sowohl in der alten als auch in der revidierten Fassung ist es, ein faires Verfahren für alle Beteiligten sicherzustellen und es der Kammer zu ermöglichen, ihre Arbeit auf der Basis eines vollständigen Vorbringens beider Seiten zu beginnen (T 2610/16 mit Verweis auf RBK, 9. Aufl. 2019, V.A.4.12.5; s. auch T 1904/16, T 113/18 und T 319/18).
Das in Art. 12 (3) VOBK verankerte Erfordernis des vollständigen Beschwerdevorbringens dient nicht allein der verwaltungstechnischen Erleichterung, sondern ist ein grundlegendes Prinzip von Gerichtsverfahren (T 2202/21, s. auch T 1776/18, wo dieses Erfordernis als ein dem EPÜ zugrunde liegender allgemeiner Verfahrensgrundsatz bezeichnet wird). Wie in T 321/21 betont, beschränkt sich das Substantiierungserfordernis nicht auf die Beschwerdebegründung und die Beschwerdeerwiderung, sondern gilt auch für später im Verfahren eingereichte Anträge und Einwände.
Diese Bestimmung spielt im Hinblick sowohl auf die Zulässigkeit der Beschwerde (s. Kapitel V.A.2.6.3 h)) als auch auf die Zulassung unvollständiger oder unbegründeter Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente oder Beweismittel zum Beschwerdeverfahren eine Rolle (s. die in diesem Kapitel V.A.4.3.5 zusammengefassten Entscheidungen).
Dieses Substantiierungserfordernis gilt auch für der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Vorbringen (s. z. B. T 559/20 und T 534/21 für Anträge und T 557/21 für Einwände). Um aber die Rechtsprechung zu Art. 12 (3) und (5) VOBK im Kontext der anderen Bestimmungen in Art. 12 und 13 VOBK darstellen zu können, werden Entscheidungen zu diesem Erfordernis im Kapitel V.A.4 aufgeführt, auch dann wenn es sich nicht um "neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren" handelt.
Ein pauschaler Verweis des Beschwerdeführers auf Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren genügt nicht, um festzustellen, warum die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden sollte. Ein solches Vorgehen widerspricht dem Beschwerdeverfahren, in dem der Beschwerdeführer nach Art. 108 und R. 99 (2) EPÜ sowie Art. 12 (3) VOBK die Obliegenheit hat, mit seiner Beschwerdebegründung einen vollständigen Sachvortrag zu präsentieren, der es der Beschwerdekammer und den übrigen Beteiligten ermöglicht, ohne weitere Nachforschungen zu verstehen, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden soll (T 706/17; ausführlich erläutert auch in T 2117/18 in Bezug auf den nur geringfügig geänderten Art. 12 (2) VOBK 2007). Siehe auch T 2457/16 und T 1690/22 (in der die Kammer darauf verwies, dass dies der langjährigen ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern entspricht; Näheres s. oben Kapitel V.A.2.6.5).
Die Kammer in T 1041/21 sah auch pauschale Verweise des Beschwerdegegners (Patentinhabers), der im erstinstanzlichen Verfahren obsiegt hatte, auf seinen damaligen Vortrag als unvereinbar mit dem Erfordernis des Art. 12 (3) VOBK an. Siehe T 503/20, aber auch T 108/20. Näheres s. Kapitel V.A.4.3.5 b) (iii).
Das Erfordernis der Knappheit nach Art. 12 (3) VOBK entbindet die Beteiligten nicht von ihrer Pflicht, ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anzuführen (s. T 2117/18, T 2872/19, T 1615/22).
Bezüglich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Erfordernis eines vollständigen Sachvortrags sieht der neue Art. 12 (5) VOBK vor, dass es im Ermessen der Kammer steht, den Teil des Beschwerdevorbringens, der die Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK nicht erfüllt, nicht zuzulassen. In T 503/20 betonte die Kammer, dass die Zulassung von Passagen der Einspruchserwiderung, auf die unter Angabe ihrer konkreten Randnummern verwiesen wird, in ihrem Ermessen steht und von den Umständen des Einzelfalls abhängt, etwa der Frage, ob eine ausreichende Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erfolgt ist und – sofern es sich um Punkte handelt, die für diese Entscheidung nicht relevant wurden – ob aus dem Gesamtvortrag beider Parteien ausreichend klar wird, welche Punkte mit welcher konkreten Begründung weiterverfolgt werden und wie sich diese zum Vortrag der Gegenseite verhalten.
Das Nachholen der erforderlichen Substantiierung für einen vormals nicht substantiierten Einwand oder Antrag ist keine bloße Präzisierung. Eine spätere Vervollständigung des unvollständigen Vortrags wurde z. B. in J 3/20, T 2227/15, T 326/16, T 1439/16 und T 2796/17 als Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Art. 13 VOBK angesehen (s. auch Kapitel V.A.4.2.3 m) " Verspätete Substantiierung von Einwänden "). Bei der Ausübung ihres Ermessens nach Art. 13 (1) oder (2) VOBK, später eingereichte Änderungen des Beschwerdevorbringens nicht zuzulassen, haben sich die Kammern in mehreren Entscheidungen auf Art. 12 (3) VOBK berufen (s. z. B. T 1439/16 und T 1533/15). Zur Frage, ob nicht substantiierte Anträge oder Einwände überhaupt wirksam eingereicht wurden, siehe unten Kapitel V.A.4.3.5 b) (v) und V.A.4.3.5 c) (vi).
- T 2271/22
Dans l'affaire T 2271/22 la division d’opposition a rejeté l'opposition conformément aux dispositions de l'art. 101(2) CBE. La requérante a demandé l'annulation de la décision de rejet de l'opposition et la révocation du brevet dans son ensemble.
Dans sa réponse au mémoire exposant les motifs du recours, l’intimée a déclaré qu'elle maintenait "toutes les requêtes déposées en 1ere [sic] instance". Ce n’était qu’en réponse à la notification selon l’art. 15(1) RPCR que l’intimée a précisé qu’il s’agissait bien de la première requête subsidiaire déposée le 2 juin 2021 et de la deuxième requête subsidiaire déposée le 28 mars 2022.
La chambre a relevé que, dans sa réponse aux motifs du recours, l'intimée n'avait donné aucun argument pour soutenir la recevabilité et le fondement de ces requêtes subsidiaires au cas où la chambre partagerait le point de vue de la requérante en ce qui concerne les revendications telles que délivrées. En particulier, l'intimée était restée silencieuse sur la question d'une activité inventive basée sur les caractéristiques techniques ajoutées. La chambre a aussi noté que la requérante avait attaqué ces requêtes subsidiaires dans son mémoire de recours..
La chambre n’a pas accepté l’argument de l’intimée que, la décision attaquée ayant maintenu le brevet conformément à la requête principale, l’art. 12(3) RPCR, selon lequel le mémoire et la réponse doivent présenter de façon claire et concise les motifs pour lesquels il est demandé d'annuler, de modifier ou de confirmer la décision attaquée, ne s’appliquerait pas aux requêtes subsidiaires dans l’espèce. La chambre a clarifié que, si l'intimée demande de manière subsidiaire le maintien du brevet conformément à une requête subsidiaire, elle doit présenter dans sa réponse au mémoire de recours les motifs pour lesquels il est demandé de modifier ou de confirmer la décision attaquée et d'exposer expressément et de façon précise l'ensemble des requêtes, faits, arguments et preuves invoqués, même si cette requête subsidiaire avait déjà été déposée pendant la procédure d'opposition et jamais traitée par la division d'opposition. Par conséquent, les exigences de l'art. 12(3) RPCR n’étaient clairement pas remplies en ce qui concerne ces requêtes subsidiaires.
La présentation d’arguments quelques jours avant la procédure orale prévue ne pouvait, en l’absence de circonstances exceptionnelles, remplacer l’exposé exigé par l’art. 12(3) RPCR.
En conclusion, la chambre a considéré que les deux requêtes subsidiaires n'étaient pas motivées et, par conséquent, n'étaient pas recevables dans la procédure de recours (art. 12(3) et (5) RPCR).