4.1.1 Rechtsgrundlagen
Gemäß Art. 114 (1) EPÜ muss das EPA den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln; es ist dabei weder auf das Vorbringen noch auf die Anträge der Beteiligten beschränkt. Nach Art. 114 (2) EPÜ braucht das EPA jedoch Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen (zur Anwendung dieser Prinzipien im Einspruchsverfahren s. auch Kapitel IV.C.4. "Verspätetes Vorbringen neuer Dokumente, Angriffszüge und Argumente").
Schon in der frühen Rechtsprechung wurde darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des Art. 114 (1) EPÜ 1973 (Art. 114 EPÜ blieb bei der Revision 2000 unverändert) nicht bedeutet, dass die Beschwerdekammern das erstinstanzliche Verfahren neu aufrollen müssen mit dem unbeschränkten Recht und sogar der Pflicht, alles neue Material ungeachtet der Frage zu prüfen, wie spät es vorgebracht wurde. Eine solche Auslegung von Art. 114 (1) EPÜ 1973 entspricht weder dem Kontext des restlichen Artikels, nämlich Art. 114 (2) EPÜ 1973, noch des Art. 111 (1) EPÜ 1973 (bei der Revision 2000 nur geringfügig redaktionell geändert in der englischen und französischen Fassung) gerissen. Wird Art. 114 (1) EPÜ 1973 in seinem Gesamtzusammenhang ausgelegt, so wird erkennbar, dass der Umfang etwaigen neuen Materials, das von den Beteiligten oder der Kammer selbst in ein Beschwerdeverfahren eingeführt werden darf, klar begrenzt ist, denn Beschwerdesachen müssen mit den in erster Instanz entschiedenen Fällen identisch oder eng verwandt sein und auch bleiben (T 97/90, ABl. 1993, 719, zitiert in T 951/91, ABl. 1995, 202; s. auch T 26/88, ABl. 1991, 30, wonach die wesentliche Aufgabe des Beschwerdeverfahrens in der Feststellung liegt, ob die Entscheidung des erstinstanzlichen Organs sachlich richtig war; T 229/90; T 611/90, ABl. 1993, 50; T 339/06 und T 931/06.
Tatsachen und Beweismittel, die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden, können von den Beschwerdekammern aufgrund des ihnen in Art. 114 (2) EPÜ 1973 eingeräumten Ermessens unberücksichtigt gelassen werden; mit dieser Bestimmung werden der in Art. 114 (1) EPÜ 1973 vorgesehenen Ermittlungspflicht der Kammer rechtliche Grenzen gesetzt (T 326/87, ABl. 1992, 522).
In T 482/18 setzte sich die Kammer mit der Frage auseinander, ob die Einschränkungen der Zulassung von Änderungen, so wie sie die am 1. Januar 2020 in Kraft getretene Fassung der VOBK (auf die im Folgenden als "VOBK" Bezug genommen wird) vorsieht, grundsätzlich mit dem Amtsermittlungsgrundsatz vereinbar sind und bejahte dies. In diesem Zusammenhang verwies sie auch auf G 9/91 und G 10/91 (ABl. 1993, 408 und 420), wonach es Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens ist, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich anzufechten, und wonach es gerechtfertigt erscheint, Art. 114 (1) EPÜ 1973 im Beschwerdeverfahren generell restriktiver anzuwenden als im Verfahren vor der Einspruchsabteilung.
Auch in T 1767/18 erläuterte die Kammer (im Zusammenhang mit der Normenhierarchie zwischen EPÜ und VOBK), dass Art. 13 (2) VOBK (in der 2020 in Kraft getretenen Fassung) auf Art. 114 (2) EPÜ beruht. Die Kammer sah keinen Widerspruch zur Vorschrift des Art. 101 (3) a) EPÜ, die nicht so verstanden werden könne, dass jegliche Voraussetzungen des EPÜ zu prüfen sind und erst recht nicht von Amts wegen.
In T 1758/22 sah die Kammer ein angebliches Gebot, Ansprüche immer auf die Erfüllung der Erfordernisse nach Art. 123 (2) EPÜ und/oder Art. 84 EPÜ zu prüfen, als eine den Bestimmungen der VOBK zuwiderlaufende Überdehnung des Amtsermittlungsgrundsatzes an. Und ebenfalls zum Amtsermittlungsgrundsatz nach Art. 114 (1) EPÜ stellte die Kammer in T 1774/21 fest, dass sich daraus keine Verpflichtung einer Kammer ergibt, von Amts wegen zu prüfen, ob neues Vorbringen einer Partei verspätet ist, auch wenn die Gegenpartei keinen (rechtzeitigen) Antrag auf Nichtzulassung dieses neuen Vorbringens gestellt hat. Art. 114 (2) EPÜ zeige vielmehr, dass insoweit Ermessen bestehe.
In T 1042/18 wies die Kammer darauf hin, dass Beschränkungen neuen Vorbringens nicht nur durch die Rechtsprechung zur Berücksichtigung neuer Einspruchsgründe gemäß den Entscheidungen G 10/91 (ABI 1993, 420), G 1/95 (ABI 1996, 615) und G 7/95 (ABI 1996, 626) bestehen, sondern auch durch die in Art. 114 (2) EPÜ und der VOBK eingeräumte Möglichkeit, verspätetes Vorbringen nicht zuzulassen. Diese Beschränkungen bestehen unabhängig voneinander und wirken kumulativ. Die Kammer erläuterte ferner, dass die Bestimmungen der VOBK zu verspätetem Vorbringen die Regelung des Art. 114 (2) EPÜ in einer für die Kammern grundsätzlich verbindlichen Art und Weise näher ausgestalten (Art. 23 VOBK).
Im gleichen Sinne kam die Kammer in T 254/20 zu dem Schluss, dass die Ausgestaltung in Art. 12(6) Satz 2 VOBK nicht gegen Art. 114 (2) EPÜ verstößt. Das Argument der Einsprechenden, der Wortlaut des Art. 12 (6) Satz 2 VOBK schränke die Ermessenausübung derart ein, dass effektiv kein Ermessen mehr ausgeübt werden könne, wies die Kammer u. a. mit Verweis auf den letzten Halbsatz der Bestimmung ("es sei denn …") und den Zweck des Einspruchsbeschwerdeverfahrens (s. G 9/91, ABI 1993, 408 und G 10/91, ABI 1993, 420) zurück.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern können neue Anträge, die einen geänderten Anspruchssatz enthalten, ausnahmsweise in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden (see RBK, 10. Aufl. 2022, V.A.5.12.1). Die gesetzlichen Vorschriften in R. 137 (3) EPÜ für das Prüfungsverfahren und R. 80 EPÜ für das Einspruchsverfahren sind nach R. 100 (1) EPÜ im Beschwerdeverfahren anzuwenden (sofern nichts anderes bestimmt ist).
In R 6/19 befand die Große Beschwerdekammer, dass Art. 123(1) EPÜ die Grundlage für die Ermessensentscheidung der Kammern (und der Einspruchsabteilungen) darüber bildet, ob sie Anträge in Beschwerdeverfahren (Einspruchsbeschwerdeverfahren) zulassen oder nicht (siehe auch J 14/19 und T 966/17 (letztere mit Verweis auf Art. 123 (1) Satz 1 EPÜ in Verbindung mit R. 79 (1) und 81 (3) EPÜ). Zur Diskussion über die Rechtsgrundlage für die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilungen, während des Einspruchsverfahrens eingereichte neue Anträge nicht zuzulassen, siehe auch Kapitel IV.C.5.1.1.
- T 0458/22
Dans l'affaire T 458/22, l'intimée a fait valoir pour la première fois après notification de la communication en vertu de l'art. 15(1) RPCR, que le recours était irrecevable.
La requérante a fait valoir que les faits contestés étaient présents dans la procédure depuis le début et qu'aucune circonstance exceptionnelle ne justifiait l'admission de cette nouvelle objection à ce stade de la procédure.
La chambre était consciente de l'existence d'une jurisprudence qui considère que la question de la recevabilité d'une opposition ou d'un recours peut et doit être soulevée d'office à tous les stades de la procédure, même au cours de la procédure orale dans le cadre d'un recours (Jurisprudence des Chambres de recours de l'Office européen de brevets, 10e édition, juillet 2022, V.A.2.7). Les chambres dans les affaires T 289/91, T 15/01, T 522/94, T 1668/07, T 2223/10 et T 198/15 ont interprété ce principe initialement formulé dans la décision T 289/91 en ce sens qu'elles n'ont pas le pouvoir d'appréciation de ne pas prendre en considération une objection tardive à la recevabilité, même si elle a été soulevée par une partie pour la première fois lors de la procédure orale devant la chambre.
La présente chambre a considéré qu'elle possède un pouvoir d'appréciation pour ne pas prendre en compte l'objection à la recevabilité du recours soulevée par l'intimée.
Une objection à la recevabilité d'un recours ou d'une opposition soulevée par une partie constitue un moyen invoqué au sens de l'art. 114(1) CBE. Le libellé de l'art. 114 CBE ne fait pas d'exception pour des faits tardifs relatifs à la question de la recevabilité d'une opposition ou d'un recours. La question de savoir si le mémoire de recours est conforme aux exigences de la règle 99(2) CBE peut comprendre des faits ainsi que des arguments, par exemple la question de savoir s'il contient ou non des motifs pour lesquels il y a lieu d'annuler la décision attaquée.
Le libellé des art. 101(1) et 110 CBE et des règles 77(1) et 101(2) CBE ne fait apparaître aucune nécessité d'une requête par une partie pour l'examen de la recevabilité, ni une quelconque restriction quant au moment où la chambre examine la recevabilité d'une opposition ou d'un recours. Il s'ensuit que la chambre de recours peut statuer sans requête, c'est-à-dire ex officio, sur la question de la recevabilité du recours ou l'opposition, et ce à tout moment de la procédure. En cela la chambre est en accord avec la ligne de jurisprudence précitée.
Toutefois, la chambre a considéré qu'il ne découle pas des dispositions précitées que les faits invoqués tardivement par une partie concernant la question de la recevabilité doivent toujours être pris en considération par une chambre de recours. Le libellé des art. 12 et 13 RPCR ne limite pas le pouvoir d'appréciation d'une chambre de recours de manière à en exclure la question de la recevabilité d'un recours ou d'une opposition.
La chambre ne partage pas le point de vue exprimé aux points 25 et 26 de la décision T 1006/21, selon lequel les dispositions des art. 12 et 13 du RPCR limitent uniquement les modifications des faits et du fond d'un recours, mais que les requêtes procédurales ne constituent pas des modifications au sens de ces dispositions.
Elle partage en revanche l'avis contraire exprimé au point 1.3.2 de la décision T 1774/21, selon lequel le libellé du RPCR a été délibérément choisi pour faire la distinction entre les "requêtes" générales (voir l'art. 12(2) et (3) RPCR) et les "modifications d'une demande de brevet ou d'un brevet" (voir l'art. 12(4), deuxième phrase, RPCR, l'art. 13(1), troisième phrase, RPCR). Ce point de vue est supporté également par le tableau présentant les modifications du RPCR avec remarques explicatives (publication supplémentaire 2, JO 2020, 17), selon lesquelles "Dans ce contexte [de l'art. 12(2) RPCR], le terme 'requêtes' n'est pas limité aux textes modifiés de demandes de brevet ou de brevets".
En l'espèce, l'objection à la recevabilité du recours par l'intimée n'est pas prise en compte en vertu de l'art. 13(2) RPCR, car il n'y a pas de circonstances exceptionnelles justifiant l'admission.