Flexible Protektoren für besseren Schutz und größere Bewegungsfreiheit: Richard Palmer und Philip Green als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2019 nominiert
- Flexibles Material, das bei Aufprall hart wird und so den Träger schützt: britische Ingenieure Richard Palmer und Philip Green für Preis des Europäischen Patentamtes (EPA) nominiert
- Das neue Material ist eine Verbindung aus einer physikalisch besonderen Flüssigkeit mit Polymerschaum und kann in Schutzkleidung oder -ausrüstung eingearbeitet werden
- Die Erfinder gründeten ein Start-up, um ihre Idee auf den Markt zu bringen – heute gelangt D3O® als führende Aufprallschutz-Komponente in Markenprodukten aus den Bereichen Sport, Motorrad, Unterhaltungselektronik, Industrie und Verteidigung zum Einsatz
München, 7. Mai 2019 – Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der britischen Ingenieure Richard Palmer und Philip Green für den Europäischen Erfinderpreis 2019 als Finalisten in der Kategorie „KMU“ (Kleine und mittlere Unternehmen) bekannt. Palmer und Green haben ein besonderes Material erfunden, welches weich und flexibel ist, jedoch bei einem Aufprall hart wird. Heute bietet D3O, eingearbeitet in Schutzkleidung, Trägern besseren Schutz bei größerer Bewegungsfreiheit als konventionelle Protektoren.
Um ihr Material zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, gründeten Palmer und Green Ende der 1990er Jahre ein Start-up in Großbritannien. D3O arbeitet seitdem kontinuierlich daran, die Erfindung zu einem erfolgreichen Geschäft zu entwickeln: So setzen heute weltweit Sportler, Motorradfahrer, Soldaten, Industriearbeiter und Smartphone-Nutzer auf das Material.
„Palmer und Green zeigen, wie zwei engagierte Erfinder Ingenieurswissenschaften dazu nutzen können, um ein innovatives Material zu entwickeln und ein Produkt für den breiten Markt zu kreieren“, sagte EPA-Präsident António Campinos anlässlich der Nominierung der britischen Erfinder. „Für diese Erfinder war der Patentschutz entscheidend, um Finanzierung und Investitionen zu sichern und ihr Unternehmen aufzubauen.“
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden 2019 im Rahmen einer Galaveranstaltung am 20. Juni in Wien bekannt gegeben.
Von der Piste ins Labor: vom Schnee inspiriert
Konventionelle Schutzkleidung und -ausrüstung fühlt sich oft starr und unbequem an. Als passionierte Snowboarder kannten Palmer und Green dieses Problem sehr gut: Ihnen waren die herkömmlichen Ellenbogenschützer und Handschuhe zu wuchtig, sie schränkten ihre Bewegungsfreiheit zu sehr ein. Als leidenschaftliche Sportler mit Ingenieursausbildung und Erfahrung in Arbeit mit Polymeren waren sie jedoch davon überzeugt, selbst ein besseres Material für Protektoren entwickeln zu können.
Palmer gründete deshalb 1999 gemeinsam mit Green ein Start-up, um ein geeignetes Konzept zu entwickeln. Palmer war von dessen Potential dermaßen überzeugt, dass er sogar sein Haus sowie Hab und Gut veräußerte und für viele Monate auf dem Sofa eines Freundes nächtigte, um die finanziellen Mittel für das Projekt aufzubringen. Die beiden Ingenieure experimentierten mit den unterschiedlichsten Stoffen und waren besonders fasziniert von sogenannten dilatanten Flüssigkeiten. Das sind flüssige Substanzen, die bei langsamem Rühren weicher werden und erhärten, wenn sie einem Aufprall oder Zusammenstoß ausgesetzt sind. „Unser grundlegendes Material gibt es schon seit langer Zeit, es wurde aber erstaunlicherweise nie kommerziell verwendet, abgesehen von Kinderspielzeug“, sagt Palmer. Die Erfinder erkannten schnell, dass dilatante Flüssigkeiten dank ihrer physikalischen Eigenschaften ein ideales Schutzmaterial abgeben könnten. Es galt jedoch herausfinden, wie dabei die gewünschte Form fixiert werden konnte.
Ihre nächste bahnbrechende Idee kam ihnen bei einem Ausflug in die Berge: Sie wollten die matrixähnliche Struktur des Schnees nachbilden, um so ein Gitter aus flexiblem Material zu entwickeln, welches die dilatante Flüssigkeit einbindet. Zu Hause begannen Palmer und Green, offen-zellige Schaumstoffe mit solchen Flüssigkeiten zu imprägnieren: Der Schaumstoff sollte die Form geben, während das flexible Polymer in die Poren sickert und so einen flexiblen Verbundstoff bildet.
Mit Blick auf die notwendigen weiteren Investitionsrunden waren sich Palmer und Green auch darüber im Klaren, dass die erfolgreiche Anmeldung eines Patents für die Beschaffung finanzieller Mittel ausschlaggebend sein würde. Zu ihrer Ernüchterung ergab die Recherche in Patentdatenbanken wenige Wochen vor der Einreichung einer internationalen Patentanmeldung jedoch, dass eine japanische Firma ein sehr ähnliches Material bereits patentiert hatte. „Somit hatten wir ein Jahr mit imprägnierten Schaumstoffen verschwendet. Wir haben viele ausprobiert – sie waren gut, aber wir konnten sie eben nicht verwenden“, sagt Green. Das brachte Palmers und Greens gesamtes Projekt zunächst ins Wanken, motivierte die beiden Erfinder allerdings auch dazu, wieder ins Labor zurückzukehren.
Anstatt die dilatante Flüssigkeit in einen offen-zelligen Schaumstoff zu geben, versuchten sie nun, diese in einem der flüssigen Vorläufer von Polyurethanschaum zu lösen. Um die richtige Formel zu erhalten, waren umfangreiche Versuche mit zahlreichen Polyurethansystemen und -mischungen erforderlich. Am Ende ging ihr Plan auf: Sie entwickelten eine stabile Polsterung, die flexibel war, sich jedoch beim Aufprall sofort versteifte. „Endlich hielten wir den gewünschten Stoff in unseren Händen! Wir haben das Patent neu angemeldet, die Finanzierung auf das Patent und das Produkt abgestellt und konnten damit ein erfolgreiches Geschäft aufziehen“, sagt Palmer.
Diese Bemühungen führten zu der endgültigen, überarbeiteten Formel für D3O – benannt nach dem Labor, in dem es erfunden worden ist. Heute existiert ein breit gefächertes Angebot an D3O-Material- und Produktvarianten. „Es ist ein fast magisches Material. Es ist weich und biegsam, damit es sich mit dem Träger bewegen kann und sich seiner Körperform anpasst. Bei Aufprall wird es allerdings sofort fest, um ihn zu schützen“, sagt Palmer und fügt über den Weg der Erfinder hinzu: „Zu echten Innovationen und Erfindungen gelangst du erst an jenem Punkt, an dem alle anderen aufgehört haben und niemand versucht hat, das Problem zu umgehen, oder an dem es wirklich schwierig wird, es zu lösen.“
Schützt nicht nur Menschen
Der erste große Durchbruch kam für die Erfinder, als das Skateboard-, Schuh- und Bekleidungsunternehmen Globe 2005 eine Schuhkollektion mit D3O im Absatz anbot. Allein im ersten Jahr verkaufte Globe 12 000 Paar dieser Schuhe. Der zweite große Durchbruch kam, als die Skibekleidungsfirma Spyder D3O in die Rennanzüge des US-amerikanischen und des kanadischen Ski-Teams für die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin einarbeitete. Die Vorteile des Materials, das die Unterarme und Schienbeine der Skifahrer vor den Renntoren schützt, die mit hoher Geschwindigkeit zurückfedern, wurden bald von der breiten Sportartikel-Industrie erkannt. Mit dem Auftritt bei den Olympischen Winterspielen war klar, wie besonders D3O ist. Ein Athlet probierte es aus und fand es gut – danach wollten es alle testen, so Palmer.
Die Firma, die Palmer und Green gegründet hatten und die unter dem Namen D3O agiert ist ein weiterhin schnell wachsendes KMU mit Fokus auf Engineering, Design und Technologie mit Sitz in London. Es verfügt außerdem über Niederlassungen in China und den USA. D3O wird aktuell in mehr als 50 Ländern vermarktet und von führenden Marken wie 3M, CCM, Scott Sports und Triumph verwendet. Das Material ist mittlerweile auch außerhalb des Sportartikel-Marktes etabliert: Es kommt auch in Motorradausrüstungen, Schutzhüllen für Unterhaltungselektronik (beispielsweise für Smartphones), industrieller Arbeitskleidung und Protektoren für Soldaten zum Einsatz.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien bei einer Galaveranstaltung verliehen, die dieses Jahr am 20. Juni stattfindet. Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten im Vorfeld der Verleihung über ein Online-Voting ermittelt. Die Abstimmung auf der EPA-Website ist bis zum 16. Juni 2019 möglich.
Über das Europäische Patentamt
Das Europäische Patentamt (EPA) ist mit fast 7 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine der größten europäischen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Der Hauptsitz ist in München; Niederlassungen gibt es in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien. Das EPA wurde gegründet, um die Zusammenarbeit europäischer Staaten im Patentwesen zu fördern. Über das zentrale Erteilungsverfahren beim EPA können Erfinder auf der Grundlage einer einzelnen Patentanmeldung Patentschutz in bis zu 44 Ländern (mit einem Markt von rund 700 Millionen Menschen) erlangen. Das EPA gilt überdies als die weltweit bedeutendste Behörde für Patentrecherchen und Patentinformation.
Weiterführendes Material
Blick auf das Patent: EP1832186
Weitere Informationen, Fotos und Videos zum Europäischen Erfinderpreis 2019 sind in der EPA-Mediathek erhältlich. Smart TV-Nutzer können unsere App „Innovation TV" herunterladen und Videos zu allen Finalisten auf ihrem Fernseher anschauen. Die Verleihung am 20. Juni 2019 wird live auf „Innovation TV", der EPA-Website und der Facebook-Seite des EPA übertragen.
EPA-Pressekontakt
Jana Mittermaier
Direktorin Externe Kommunikation
Rainer Osterwalder
Pressesprecher
Pressestelle des EPA
Tel. +49 89 2399 1833
Mobile: +49 163 8399527
press@epo.org