HIV-Schnelltest für Patienten in Entwicklungsländern: Helen Lee als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2016 nominiert
- Point-of-Care-Diagnostik für HIV in strukturschwachen Regionen
- Diagnose erfolgt durch Identifizierung der genetischen Sequenz des Virus ohne klinisches Labor oder ausgebildetes Personal
- Test wurde bereits bei über 40 000 Menschen in Afrika erfolgreich eingesetzt
- EPA-Präsident Battistelli: „Helen Lees schnelle und präzise Testverfahren ermöglichen eine zuverlässige HIV-Diagnose in den Regionen der Welt, wo sie am meisten gebraucht wird."
München, 26. April 2016 - In Afrika sind rund 25 Millionen Menschen mit HIV infiziert - und die Dunkelziffer liegt noch weitaus höher. Jedes Jahr werden dort allein 150 000 Kinder mit dem tödlichen Virus geboren. Die Diagnose und Behandlung der Infizierten ist jedoch gerade in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern ein großes Problem, da fehlende Infrastruktur und medizinische Versorgung ein rechtzeitiges Eingreifen erschweren. Hinzu kommt: Bis zu 70 Prozent der Patienten kehren nach der Erstaufnahme nicht in medizinische Einrichtungen zurück, um sich ihre Testergebnisse abzuholen und sich einer Behandlung zu unterziehen. Hier setzt die Erfindung der Hämatologin Helen Lee (75) an: Sie entwickelte ein mobiles, einfach einsetzbares und schnelles Diagnose-Kit für HIV. Der Test untersucht Blutproben auf den genetischen Code der Viren. So lassen sich auch in strukturschwachen Regionen ohne medizinische Labore präzise Diagnosen erstellen. Derzeit arbeitet Lee an einer Weiterentwicklung der Tests für Influenza A und B sowie Chlamydien und Gonorrhoe.
Für ihre Leistung hat das Europäische Patentamt (EPA) Helen Lee als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2016 in der Kategorie „Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU)" nominiert. Die elfte Verleihung des Preises findet am 9. Juni in Lissabon statt.
„Die von Helen Lee entwickelten schnellen und präzisen Testverfahren ermöglichen eine zuverlässige HIV-Diagnose in den Regionen der Welt, wo sie am meisten gebraucht werden", sagte EPA-Präsident Benoȋt Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2016. „Die Tests haben sich als ideale Point-of-Care-Diagnostik unter schwierigen Bedingungen erwiesen und erlauben zum ersten Mal, den Wirkungsgrad medizinischer Behandlungen ohne Laborinfrastruktur zu überwachen."
Präzise Ergebnisse innerhalb von Minuten
Helen Lees Unternehmen „Diagnostics for the Real World", ein Spin-off der Universität Cambridge, stellte das mobile Diagnose-Kit namens SAMBA im Jahr 2011 vor. SAMBA steht für „einfacher Gen-Vervielfältigungstest" (Simple Amplification based Assay) und erkennt an einer Blutprobe innerhalb von Minuten, ob der Patient mit dem gefährlichen Virus HIV infiziert ist. Die Tests liefern auch fernab medizinischer Einrichtungen und geschulten Personals präzise Ergebnisse. Bislang wurden rund 40 000 Personen in Malawi und Uganda mit SAMBA getestet.
Das Prinzip von SAMBA: Der Test analysiert das Blutplasma des Patienten mithilfe Nukleinsäure-basierter Verfahren. Dabei werden eine Einwegkartusche mit verschiedenen Chemikalien sowie eine Blutprobe in das Gerät eingesetzt. Der Test erkennt das spezifische genetische Material von Viren im Blut. Die Auswertung erfolgt anhand eines Teststreifens und erfordert keine medizinischen Kenntnisse. Enthält das Blut entsprechende RNA, zeigt der Teststreifen zwei Striche an - das Testergebnis ist positiv. Ein Strich steht für ein negatives Ergebnis. Der Befund kann anschließend über Bluetooth an ein Tablet übertragen werden, das die Daten speichert und verschickt.
Dem genetischen Code des Virus auf der Spur
Der Test ermöglicht die Diagnose von HIV sogar bei Kindern unter 18 Monaten. Bisherige Testverfahren untersuchten das Blut auf Antikörper, was gerade bei Säuglingen zu ungenauen Testergebnissen führte, da diese noch keine eigenen Antikörper bilden können. Auch bei der dauerhaften medizinischen Versorgung von HIV-Patienten eröffnen sich neue Möglichkeiten. Das Gerät überwacht die Virenbelastung im Blut, somit kann die Dosierung der Medikamente individuell angepasst werden. Das große Potenzial von SAMBA besteht darin, in Zukunft jeden Virus nachzuweisen, dessen genetische Sequenz bekannt ist. Der Nachfolger SAMBA II, der noch schnellere und flexiblere Tests für weitere Krankheiten ermöglicht, befindet sich derzeit in klinischen Studien.
Gegenüber früheren Testverfahren müssen die verwendeten Chemikalien
nicht gekühlt werden - ein großer Vorteil beim Einsatz in Afrika. Das Diagnose-Kit
lässt sich bei einer Umgebungstemperatur von 37°C bis zu neun Monate lang
aufbewahren. Das Gerät wird elektrisch betrieben und kann Stromausfälle mit
integrierten Batterien bis zu acht Stunden überbrücken. Und die Diagnose ist
günstig: Ein einzelner Test kostet gerade einmal 15 Euro. Durch eine
CE-Zertifizierung kann der Schnelltest auch in Europa eingesetzt werden, wo er
die Kosten für HIV-Tests drastisch senken könnte.
Wissenschaftlerin und Philanthropin
Begonnen hat die Hämatologin Lee ihre Karriere am Centre National de Transfusion Sanguine in Paris. Nach einem erfolgreichen Abstecher in die freie Wirtschaft bei Abbot Laboratories kehrte Lee dieser Mitte der 90er bewusst den Rücken, um sich der Forschung und der konkreten Hilfe für Patienten in Entwicklungsländern zu widmen. Heute lebt und arbeitet die gebürtige Chinesin, die mit einem Franzosen verheiratet ist, in Cambridge, wo sie die Diagnostics Development Unit (DDU) der Universität Cambridge leitet. Die Forschungseinrichtung besitzt zwölf Patentfamilien mit 20 nationalen Patenten im Bereich der Diagnosetests.
Als begeisterter Fan des Fußballclubs FC Arsenal ist Lee auch geradeheraus, wenn es um die Anwendung ihrer Arbeit im wirklichen Leben geht: „Wenn alles was wir tun wäre, Prototypen zu entwickeln und wissenschaftliche Publikationen zu veröffentlichen, wären wir gescheitert." Sie wurde bereits mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet, unter anderem mit dem British Female Inventor in Industry Award im Jahr 2006.
Das 2002 von Helen Lee gegründete „Diagnostics for the Real World" mit Standorten in Cambridge (UK) und Sunnyvale (USA) behält maximal 15 Prozent der Gewinne ein und arbeitet eng mit internationalen Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen" zusammen. Für ihre Forschung und Entwicklung erhielt Lees Unternehmen bereits 60 Millionen Euro an Fördergeldern. Das Marktpotenzial von Point-of-Care-Diagnostik wird auf 12,7 Milliarden Euro (2013) geschätzt und könnte bis 2022 um 9,7 Prozent auf 28,7 Milliarden Euro wachsen.
Weiterführendes Informationsmaterial
Lesen Sie mehr über die Erfinderin
Die Patente:
EP1301627, EP1301628, EP1301629, EP1325151, EP1336105
Forschungslabore als "Denkfabriken" für eine bessere Zukunft
Mit der Gründung der Diagnostics Development Unit (DDU) an der Universität Cambridge, aus der das Unternehmen Diagnostics for the Real World Ltd als Spin-off entstand, hat Helen Lee einen Thinktank für die Diagnose ansteckender Krankheiten aufgebaut. Das stellt ihr Labor in Cambridge in eine Reihe mit Forschungseinrichtungen in ganz Europa, die die Grenzen der Forschung in vielen Bereichen mit ihren patentierten Innovationen erweitern. Lesen Sie mehr über europäische Forschungseinrichtungen und Innovationen.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Über das Europäische Patentamt (EPA)
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