Wenn Blätter zur nachhaltigen Alternative für Leder werden: Carmen Hijosa als Finalistin für Europäischen Erfinderpreis 2021 nominiert
- Die spanische Unternehmerin ist für ihre nachhaltige Lederalternative für den Preis des Europäischen Patentamts (EPA) nominiert
- Hijosa entwickelte ein Verfahren, das Ananasblätter in eine weiche, haltbare und vielseitige Textilie verwandelt
- Ihre umweltfreundliche Alternative unterstützt die Landwirtschaft und ist bei führenden internationalen Modefirmen gefragt
München, 4. Mai 2021 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der spanischen Unternehmerin Carmen Hijosa für den Europäischen Erfinderpreise 2021 als Finalistin in der Kategorie „KMU" (Kleine und mittlere Unternehmen) bekannt. Sie hat eine Lederalternative und gleichermaßen innovative Textilie aus den Fasern von Ananasblättern entwickelt, die aus einer Abfallressource hergestellt wird und im Vergleich zur Herstellung von Rindsleder die Umwelt weniger belastet.
Für die kommerzielle Verwertung ihrer Erfindung hat Hijosa 2013 in London ein KMU gegründet. Ihre natürliche Lederalternative unterstützt Landwirte und Genossenschaften auf den Philippinen und ist auch bei großen internationalen Modemarken gefragt.
„Carmen Hijosa hat gezeigt, wie durch Innovation nachhaltige Alternativen entstehen können", so EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2021. „Mir ihrer Patentanmeldung konnte sie ihre Erfindung schützen und diese über ein Unternehmen mit positiver sozialer Wirkung und geringer Umweltbelastung auf den Markt bringen."
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden am 17. Juni 2021 ab 19 Uhr im Rahmen einer Galaveranstaltung bekannt gegeben, die in diesem Jahr als digitales Event für ein weltweites Publikum neu konzipiert wurde.
Von Ananasblattabfall zu natürlicher Textilie
Konventionelle Lederproduktion ist umstritten: Für die Aufzucht von Schlachtvieh werden enorme Ressourcen verbraucht, der chemikalienlastige Gerbungsprozess birgt das Risiko der Umweltverschmutzung und die Arbeitsbedingungen in den Gerbereien sind oft sehr schlecht. Auch synthetische Lederalternativen wie PVC (Polyvinylchlorid) sind mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt und Gesundheitsrisiken für Menschen verbunden.
Hijosa erlebte die Realität der globalen Lederproduktion aus erster Hand, als sie 1993 als Textildesign-Beraterin für die Weltbank auf den Philippinen arbeitete. Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen der lokalen Lederproduktion brachten sie dazu, eine nachhaltige Textilie zu entwickeln, die für den Export geeignet ist und die Rohstoffe auf den Philippinen sowie die traditionellen Fähigkeiten der Menschen dort besser nutzt. „Ananasblattfasern sind sehr stark, fein und biegsam und werden auf den Philippinen seit 300 Jahren in traditionell handgewebten Textilien verwendet", erklärt Hijosa. „Ich überlegte also, was wäre, wenn ich aus diesen Ananasblattfasern ein Gewebe herstellen würde, das Ähnlichkeit mit Leder hat - ein Gewebe aus Fasern?'"
Im Rahmen eines zwölfjährigen Forschungs- und Entwicklungsprozesses machte sie sich daran, das Geflecht der Kollagenfasern von Leder nachzubilden. Während dieser Zeit schloss sie mehrere Textilstudiengänge ab, gründete ein Unternehmen und refinanzierte ihr Haus, um weiter zu forschen und ihre Promotion abzuschließen. Am Ende dieses Prozesses stand die erfolgreiche Entwicklung und Perfektionierung einer Textilie namens Piñatex. Das Material wird produziert, indem die Zellulosefasern von den Blättern abgezogen und zunächst Fasern in Textilqualität hergestellt werden. Diese werden dann zu einer nicht gewebten Netztextilie verarbeitet, die weiter veredelt und zu einer Lederalternative erweicht wird.
Das Rohmaterial, das die Grundlage für Hijosas Textilie bildet, ist ein Nebenprodukt der Ananasernte auf den Philippinen. Die Nutzung einer Ressource, die ansonsten weggeworfen würde, bietet den Landwirten ein zusätzliches Einkommen. Diese Abfallressource hat erhebliches Potenzial, da die zehn größten Ananas produzierenden Länder der Welt genug Blätter erzeugen, um potenziell mehr als 50 Prozent der weltweiten Lederproduktion durch das Material von Hijosa zu ersetzen. Piñatex benötigt zudem viel weniger Wasser als Textilien wie Baumwolle, die über 20 000 Liter Wasser pro Kilogramm beansprucht. Außerdem werden bei der Herstellung weniger Chemikalien und weniger CO2 verbraucht als bei der Lederproduktion, was Hijosas Material noch nachhaltiger macht.
Innovation bietet Verbrauchern mehr nachhaltige Optionen
2011 meldete Hijosa ein Patent für das Material und seine Herstellung an, bevor sie 2013 Ananas Anam als Start-up gründete, um Piñatex kommerziell zu vermarkten. Dieser Teil des Prozesses war für sie entscheidend: „Das geistige Eigentum spielte eine zentrale Rolle dabei, die Finanzierung sowie Zukunft des Produkts und seines Marktpotenzials zu sichern." Hijosa ist weiterhin Chief Creative & Innovation Officer ihres Unternehmens und federführend für Neuentwicklungen im Bereich pflanzlicher, abfallbasierter Textilien verantwortlich. Ihre Pionierarbeit hat das Unternehmen als Marktführer zu einem Zeitpunkt positioniert, wo es seitens der Verbraucher immer mehr Bedarf für nachhaltigere Angebote gibt.
Von 2013 bis 2019 hat sich der Umsatz von Hijosas Unternehmen jedes Jahr in etwa verdoppelt und ist bis 2020 um 40 Prozent gewachsen. Die Firma beschäftigt an ihrem Londoner Standort rund zehn Mitarbeiter und arbeitet mit Fabriken auf den Philippinen und in Spanien sowie mit dem größten philippinischen Ananasanbaukollektiv zusammen, zu dem 700 Familien gehören, die durch die Lieferung von Abfallblättern von einem zusätzlichen Einkommen profitieren. Piñatex wird derzeit von fast 3 000 Marken in 80 Ländern genutzt. Es findet sich in immer mehr Produkten - von Turnschuhen über Jacken, Autoinnenausstattungen und Handtaschen bis hin zur ersten rein veganen Hotelsuite der Welt.
Weitere pflanzliche Alternativen zu Leder, die bereits existieren oder in der Entwicklung sind, basieren auf den unterschiedlichsten Rohstoffen von Apfelkernen bis hin zu Pilzen und unterstreichen den Trend zu Textilien auf Pflanzen- und Abfallbasis. Der kombinierte globale Ledermarkt (tierisch und synthetisch) wurde 2017 auf 374 Milliarden Euro geschätzt. Obwohl echtes Leder immer knapper und damit teurer wird, zeigt die Prognose für den Gesamtmarkt bis 2025 ein jährliches Wachstum von 5,40 Prozent. Die jüngsten Vulkanausbrüche in der Nähe ihrer Fabriken auf den Philippinen und pandemiebedingte Einschränkungen haben Hijosas Produktion vorübergehend verlangsamt. Dennoch sagt die Unternehmerin, dass die Aussichten für das Unternehmen weiterhin positiv bleiben, da immer mehr Verbraucher nachhaltiger konsumieren möchten.
Hinweis für die Redaktionen
Informationen zur Erfinderin
Dr.
Carmen Hijosa wurde am 17. März 1952 in Salas in der spanischen Region Asturien
geboren. Mit 19 Jahren zog sie nach Irland und war dort 1977 Mitbegründerin der
Luxusledermanufaktur Chesneau Leather Goods. Als Designdirektorin gehörten
High-End-Abnehmer wie Harrods zu ihren Kunden. Nachdem sie das Unternehmen 15
Jahre lang geleitet hatte, begann sie in den 1990er-Jahren als Beraterin im
Bereich Textilien für die Weltbank sowie an Forschungsinstituten in Deutschland
und Irland an EU-finanzierten Projekten zu arbeiten und brachte ihr Fachwissen
im Bereich Textildesign so in Entwicklungsmärkte. 1993 wurde sie von der
Weltbank als Beraterin für die philippinische Lederindustrie beauftragt. Die
negativen Auswirkungen dieser Industrie auf Umwelt und Gesellschaft
veranlassten sie eine nachhaltige Alternative zu entwickeln - einen Lederersatz
aus Ananasblättern. Von 2009 bis 2014 promovierte Hijosa im Bereich Textilien
am Royal College of Art in London und entwickelte ihren Textilprototyp weiter.
Im Jahr 2013 gründete sie das Unternehmen Ananas Anam Ltd., um die
Lederalternative zu kommerzialisieren.
Carmen Hijosa ist Inhaberin eines europäischen Patentes (EP2576881), das 2018 erteilt wurde.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische
Erfinderpreis ist einer der
renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben
gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende
Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit
geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus
Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft
die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur
gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung
von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien (Industrie,
Forschung, KMU, Nicht-EPO Staaten und Lebenswerk) verliehen. Der Gewinner des Publikumspreises
wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten über ein Online-Voting
ermittelt.
Über das EPA
Mit 6 400 Bediensteten ist das Europäische
Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das
seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag
und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den
Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des
zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen
Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund
700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den
Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
EPA-Pressekontakt
Luis
Berenguer Giménez
Hauptdirektor Kommunikation, Sprecher
Tel.: +49 89
2399 1203