Kapsel rettet Seevögeln das Leben: Ben und Pete Kibel als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2021 nominiert
- Britisches Brüderpaar nominiert für den Preis des Europäischen Patentamtes (EPA) für ihre Methode, die das Sterben von Vögeln im Beifang beim Langleinenfischen verhindert
- Druckempfindliche Kapsel bedeckt Köderhaken an Meeresoberfläche und öffnet sich erst ab einer Tiefe von 20 Metern
- In Versuchen reduzierte die Technologie das Sterben von Seevögeln um 95 %, ohne die Fangraten zu verringern
München, 4. Mai 2021 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der Briten Ben und Pete Kibel für den Europäischen Erfinderpreis 2021 als Finalisten in der Kategorie „KMU" (Kleine und mittlere Unternehmen) bekannt. Die Brüder haben eine einfache, günstige Vorrichtung zum Schutz von Seevögeln beim Langleinenfischen erfunden.
Laut Schätzungen sterben jedes Jahr 300 000 Seevögel, darunter viele gefährdete Albatrosarten, als Beifang der Meeresfischerei. Der Ingenieur Ben und der Fischereibiologe Pete Kibel wollten dieses Problem angehen und die kommerzielle Fischerei gezielter und nachhaltiger gestalten. Sie brachten ihre jeweiligen Fachkenntnisse zusammen und entwickelten den sogenannten Hookpod - ein kleines, wiederverwendbares Gerät, das Köderhaken einkapselt, bis diese in eine für Seevögel unerreichbare Tiefe gesunken sind. Die Brüder haben drei KMUs gegründet, um dieses Gerät und weitere Erfindungen zu vermarkten, die den Beifang in der globalen Fischerei reduzieren.
„Die Kibel-Brüder haben ihren technischen Einfallsreichtum mit ihrem Engagement für den Umweltschutz kombiniert, um eine Lösung zu entwickeln, die empfindliches Meeresleben schützt", so EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2021. „Als KMU-Gründer sind sie auch ein Vorbild für neue Unternehmen: Ihre Patentstrategie hat es ihnen ermöglicht, ihr geistiges Eigentum zu schützen, die Produktion zu skalieren und neue Produkte zu entwickeln."
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden am 17. Juni 2021 ab 19 Uhr im Rahmen einer Galaveranstaltung bekannt gegeben, die in diesem Jahr als digitales Event für ein weltweites Publikum neu konzipiert wurde.
Liebe zur Tierwelt befördert innovative technische Lösung
Als Kinder interessierten sich die Brüder für die Dokumentationen des renommierten britischen Naturfilmers Sir David Attenborough, und sie entwickelten sowohl eine Leidenschaft für die Natur als auch ein Bewusstsein für die Schäden, die der Mensch ihr zufügt. „Seine Filme beleuchteten oft die Notlage bedrohter Arten", erzählt Ben Kibel. „Wir waren uns immer sehr der Tatsache bewusst, dass das, was die Menschen dem Planeten und der Tierwelt antun, nicht nachhaltig ist." Als Erwachsene beschlossen die Brüder, etwas zu tun und Lösungen für das Problem des Beifangs zu entwickeln. So nennt man den unbeabsichtigten Fang von Fischen und anderen Meerestieren wie Delfinen, Schildkröten und Seevögeln, die nicht das eigentliche Fangziel von Fischerei sind.
Langleinenfischerei ist eine Technik, die in der kommerziellen Fischerei zum Fang von Thunfisch, Schwertfisch und anderen Arten im offenen Meer weit verbreitet ist. Hierbei werden Leinen genutzt, die viele Kilometer lang und mit jeweils Tausenden von Haken versehen sind. Die Methode ist umstritten, da sich dabei eine große Anzahl von Meerestieren, die nicht zu den Zielarten gehören, in den Ködern verhaken und umkommen, darunter schätzungsweise pro Jahr auch 300 000 Seevögel. Naturschützer sind besonders besorgt über die Zehntausende von Albatrossen, die jährlich auf diese Weise sterben, denn die International Union for Conversation of Nature listet die meisten der 22 Arten als gefährdet, bedroht oder vom Aussterben bedroht auf.
Die Brüder konzentrierten sich darauf, mithilfe von Bens technischen Fachkenntnissen eine simple, aber effektive mechanische Lösung zu entwickeln. „Man hätte einfach ein ausgeklügeltes elektronisches System für die Tiefenmessung entwickeln können, aber das wäre niemals einsatzfähig gewesen", erläutert Pete Kibel. „Wir standen vor der konstruktiven Herausforderung, etwas zu entwickeln, das in einer rauen Umgebung absolut verlässlich ist und für wenig Geld in Massenproduktion hergestellt werden kann." Der Hookpod ist eine durchsichtige Kapsel aus Polycarbonat, die über die Spitzen und Widerhaken von Langleinen-Köderhaken geklippt wird. An der Oberfläche verhindert die Kapsel, dass sich aasfressende Seevögel in den Haken verfangen, indem sie ihnen den Zugang zu den Haken physisch versperrt. Das Herzstück der Vorrichtung ist ein druckbetriebener Mechanismus, der aus einem wasserdichten Rohr besteht, das einen Kolben und eine kleine Menge eingeschlossener Luft enthält. Sobald der eingekapselte Haken 20 Meter unter die Oberfläche gesunken und damit außerhalb der Reichweite der meisten Seevögel ist, wird die Kraft, die durch den Wasserdruck auf das Ende des Kolbens wirkt, größer als die Gegenkraft des Kolbens und treibt diesen dadurch nach innen. Der Kolben bewegt sich, bis er einen Riegel löst, wodurch das Gerät geöffnet und der Köderhaken freigesetzt wird. Die Fischer können den Hookpod wieder per Clip schließen und dadurch immer weiterverwenden.
Das europäische Patent für den Hookpod wurde den Brüdern 2016 erteilt, was wichtig war, um die für die Markteinführung und -vermarktung erforderlichen Investitionen zu erhalten. „Ein Patent bietet Sicherheit, denn es gibt Investoren ein Zeitfenster, innerhalb dessen das Produkt verkauft werden kann und sie ihre Investition zurückerhalten können", sagt Ben Kibel. Laut den Brüdern ist das Patent für sie auch entscheidend, weil es andere davon abhält, das vergleichsweise einfache Gerät zu kopieren. Ohne Patentschutz, so die beiden, könnten minderwertige Nachahmungen den Ruf ihrer Erfindung bei den Betreibern der Langleinenfischerei schädigen.
Mehrere Jahrzehnte, nachdem seine Filme das Interesse der Kibel-Brüder für die Tierwelt förderten, erwiderte Sir David Attenborough nun ihre Wertschätzung für seine Arbeit und äußert sich in einer Produktwerbung zur Gefährdung der Albatrosse: „Jeden Tag sterben Hunderte von Albatrossen bei der Langleinenfischerei (...) Wenn jede Langleinen-Fischereiflotte, die mit pelagischen Schleppnetzen arbeitet, Hookpods verwenden würde, glaube ich, dass wir das Sterben dieser großartigen Meereswanderer stoppen können."
Laut einer 2017 veröffentlichten Studie, in der die Ergebnisse von 18 Versuchsreihen
zusammengetragen wurden, stirbt pro 25 000 Haken, die mit einem Hookpod
geschützt sind, ein Seevogel im Vergleich zu einem Todesfall pro 250 Haken ohne
Schutz. Dies entspricht einer Reduzierung um 95 % bei zugleich unveränderten Zielfangraten.
Würden alle Langleinenfischer weltweit die Geräte verwenden und die Todesfälle
in der gleichen Größenordnung wie bei diesen Versuchen auftreten, könnten jedes
Jahr etwa
285 000 Seevögel gerettet werden.
Kleine Unternehmen mit großen Ambitionen für die Umwelt
Die Kibel-Brüder haben eine Reihe von KMU gegründet, die jeweils Lösungen anbieten, um in der maritimen Industrie für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. 1998 nutzten sie jede freie Minute, die ihnen neben ihren anderen Berufen blieb, und gründeten - zunächst mit eigenem Geld - ihre erste Firma, Fishtek Ltd. 2013 folgte ein weiteres, separates Unternehmen, Hookpod Ltd., für die Investitionsbeschaffung und um das Gerät auf den Markt zu bringen. Seitdem sind verschiedene Versionen des Produkts im Markt, darunter eine mit einer eingebauten Leuchtiode als Ersatz für die chemischen Leuchtstäbe, die zum Anlocken von Fischen verwendet werden und oft als Plastikabfall enden.
2018 erkannte die Western Central Pacific Fisheries Commission (WCPFC), die weit wandernde Fische in der Region schützt, die Erfindung der Brüder als die weltweit erste eigenständige Methode an, die das Sterben von Seevögeln vermeidet. Die neuseeländische Regierung zog 2019 nach. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 verzeichneten in Neuseeland ansässige Schiffe, die das Gerät verwenden, überhaupt keinen Beifang. In China läuft derzeit ein Versuch in Zusammenarbeit mit dem Paulson Institute und einem Langleinenfischerei-Unternehmen, um den Effekt von 2 000 Hookpods zu untersuchen, die bei zwei Schiffen für die Langleinenfischerei im Einsatz sind.
Drei Jahre nach Hookpod Ltd. gründeten die Brüder ihr drittes Unternehmen, Fishtek Marine, für die Vermarktung weiterer Erfindungen. Dazu gehört ein Gerät, das elektrische Felder aussendet, um Haie und Rochen von Angelhaken fernzuhalten, sowie ein weiteres, das Schall nutzt, um den Walbeifang zu reduzieren. Eine Crowdfunding-Kampagne brachte Fishtek Marine Ltd. kürzlich 1 Million Euro für die weitere Forschung und Entwicklung sowie Marketing und mehr Personal.
Hinweise für die Redaktionen
Informationen zu den Erfindern
Als Kind
schaute sich Ben Kibel (geb. 1968, in Serowe, Botswana) nicht nur naturkundliche
Dokumentationen an, sondern er löste auch gerne technische Probleme. Daraus
entwickelte sich ein starkes Interesse an Wissenschaft und Technik. 1992
gründete er das Unternehmen Eco Electric Ltd., um seine technischen Fähigkeiten
für die Entwicklung umweltfreundlicher Produkte, einschließlich im Bereich Windturbinentechnologie,
einzusetzen. Zusammen mit seinem Bruder Pete gründete Ben 1998 dann Fishtek
Ltd. und 2013 Hookpod Ltd. 2016 gründeten die Brüder die Fishtek Marine Ltd.
als separates Unternehmen für ihre Technologien zur Reduzierung von Beifang. Ben ist Direktor
bei Hookpod Limited, Eco Electric Limited und Fishtek Marine Ltd.
Kindheitsangelausflüge auf dem Meer brachten Pete Kibel (geb. 1966 in Südafrika) dazu, sich für den Meeresschutz zu interessieren. Er studierte Biowissenschaften (Abschluss: B.Sc.) am Keble College der Universität Oxford und angewandte Fischbiologie (Abschluss: M.Sc.) an der Universität Plymouth. Pete ist Geschäftsführer von Fishtek Ltd., einem Fischereiberatungs- und Ingenieurbüro. Er ist außerdem Geschäftsführer von Fishtek Marine Ltd. und Direktor bei Hookpod Ltd.
Ben und Pete Kibel reichten 2012 eine europäische Patentanmeldung für den Hookpod ein. Das Patent EP2731423 wurde 2016 erteilt.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische
Erfinderpreis ist einer der
renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben
gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende
Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit
geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus
Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft
die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur
gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung
von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien (Industrie,
Forschung, KMU, Nicht-EPO Staaten und Lebenswerk) verliehen. Der Gewinner des Publikumspreises
wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten über ein Online-Voting
ermittelt.
Über das EPA
Mit 6 400 Bediensteten ist das Europäische
Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das
seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag
und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den
Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des
zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen
Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund
700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den
Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
EPA-Pressekontakt
Luis
Berenguer Giménez
Hauptdirektor Kommunikation, Sprecher
Tel.: +49 89
2399 1203