4. Für die Beurteilung der ausreichenden Offenbarung maßgebendes Wissen der Fachperson
4.1. Die Offenbarung ist an eine Fachperson adressiert
Die beanspruchte Erfindung muss vom wirksamen Anmeldetag der Patentanmeldung an hinreichend offenbart sein. Diese Offenbarung ist an eine Fachperson adressiert, der die im Patent enthaltenen Informationen durch sein allgemeines Fachwissen vervollständigen kann. Nachschlagewerke und allgemeine technische Literatur gehören zum allgemeinen Fachwissen; wissenschaftliche Artikel und Patentliteratur gehören jedoch in der Regel nicht dazu.
Wenn bei ein und derselben Erfindung sowohl die ausreichende Offenbarung als auch die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen sind, ist in beiden Fällen der gleiche Wissensstand zugrunde zu legen (T 60/89, ABl. 1992, 268 (Erörterung des Wissensstands der Fachperson); T 694/92, T 187/93, T 412/93). Der gemäß Art. 123 (2) EPÜ 1973 bei Änderungen anzuwendende Maßstab an die Offenbarung, nämlich der der unmittelbaren und eindeutigen Herleitbarkeit aus der ursprünglichen Anmeldung, ist jedoch unangemessen. Maßgeblich ist vielmehr, ob es anhand der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen möglich ist, die Erfindung ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbaren Aufwand nachzuarbeiten (T 629/05; zitiert in T 79/08).
Bei der Auslegung des Gegenstands eines Anspruchs muss jeweils von ein und derselben Fachperson ausgegangen werden, d. h. für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und der ausreichenden Offenbarung muss die Auslegung eines bestimmten Anspruchs dieselbe sein (T 967/09). So noch in T 2164/21 angeführt und dargelegt, der zufolge das allgemeine Fachwissen der Fachperson bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit und der ausreichenden Offenbarung dasselbe sein muss.
Die Fachperson kann die in der Anmeldung enthaltenen Informationen durch ihr allgemeines Fachwissen vervollständigen (T 206/83, ABl. 1987, 5; T 32/85, T 51/87, ABl. 1991, 177; T 212/88, ABl. 1992, 28; T 772/89). Ein Fehler in der Beschreibung ist für die ausreichende Offenbarung unerheblich, solange die Fachperson ihn anhand ihres allgemeinen Fachwissens erkennen und berichtigen kann (T 206/83, ABl. 1987, 5; T 171/84, ABl. 1986, 95; T 226/85, ABl. 1988, 336). Nachschlagewerke und allgemeine technische Literatur gehören zum allgemeinen Fachwissen (T 171/84, T 51/87, T 580/88 und T 772/89). Patentliteratur und wissenschaftliche Artikel gehören jedoch in der Regel nicht dazu (T 766/91, Nr. 8.2 der Gründe; T 1253/04, Nr. 10 der Gründe; s. auch T 59/18 und T 1782/21 unter Verweis auf T 412/09 (Reihe von Patenten), wo auf ein isoliertes Patent verwiesen wurde; T 477/18). Ebenso wenig sind Angaben, die erst durch eine umfassende Recherche gefunden werden können, dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen (s. auch T 206/83, ABl. 1987, 5; T 654/90; T 66/07). Nach Auffassung der Kammer in der Sache T 475/88 ist derjenige, der sich auf das allgemeine Fachwissen beruft, im Streitfall verpflichtet, hierfür den Beweis anzutreten. Dazu reicht es in der Regel aus, dass gezeigt wird, dass der betreffende Sachverhalt einem Fachbuch oder einer Monografie entnommen werden kann.
Zum allgemeinen Fachwissen gehören Standardhandbücher und Lehrbücher zum betreffenden Thema; nicht dazu gehören in der Regel Patentliteratur und wissenschaftliche Artikel (T 2059/13, Nr. 4.5.1 der Gründe, in der die ständige Rechtsprechung zusammengefasst und T 766/91 und T 1253/04 zitiert werden).
In T 2704/18 wird die Rolle der Fachperson bei der Beurteilung im Hinblick auf Art. 83 EPÜ eingehend behandelt. Die Kammer stellte insbesondere fest, dass die Fachperson die in der Anmeldung enthaltenen Informationen (unter Auswertung der Ansprüche, der Beschreibung und der Zeichnungen) durch ihr allgemeines Fachwissen ergänzen und auch erkannte Fehler berichtigen kann (s. T 169/83, T 206/83, T 629/05).
In T 603/22 wurde die Zulassung des Dokuments D23 geprüft, das belegen sollte, dass es sich bei dem Artikel D6 um einen Auszug aus einer allgemeinen Fachzeitschrift für chemische Verfahrenstechnik handelte, der als allgemeines Fachwissen anzusehen sei. In Anbetracht der Art des Dokuments und der für die Einreichung im Beschwerdeverfahren angeführten Gründe ließ die Kammer D23 gemäß Art. 12 (4) und (6) VOBK zum Verfahren zu.
In ex parte T 553/10 befand die Kammer, dass die vom Beschwerdeführer angeführten Passagen ein Verfahren zur Herstellung von Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt-Oxiden offenbarten, die entweder innerhalb oder außerhalb des Schutzbereichs von Anspruch 1 lagen. Es fehle ein zusätzlicher, für die Herstellung von unter den Anspruch 1 fallenden Oxiden notwendiger Verfahrensschritt. Die Anleitung in der Anmeldung sei unzureichend, und dieser Mangel könne nicht durch den Verweis auf das allgemeine Fachwissen behoben werden. Die von einem Angestellten des Beschwerdeführers abgegebene schriftliche Erklärung sei daher für die Ermittlung des einschlägigen allgemeinen Fachwissens von geringer Beweiskraft.
In T 477/18 war keines der Dokumente A1, A2 und A3 als Nachweis allgemeinen Fachwissens geeignet. Zudem wurde betont, dass die Fachperson in A2 und A3 nicht genügend Angaben gefunden hätte, um einen die Anforderungen erfüllenden "Formparameter" zu ermitteln. Bei A2 und A3 handelte es sich um wissenschaftliche Abhandlungen, die für sich genommen nicht als Nachweis allgemeinen Fachwissens angesehen werden konnten, und bei A1 handelte es sich um einen Leitfaden für Ingenieure; außerdem gab es keinen Beweis dafür, dass das Dokument A1 in einschlägigen Kreisen tatsächlich als Lehrbuch verwendet oder angesehen wurde. Die Dokumente A4 und A5 hätten nach Ansicht der Kammer als Beweis für allgemeines Fachwissen dienen können. Beide Dokumente waren nach dem Anmeldetag der Patentanmeldung veröffentlicht worden. Zwar könnten nachveröffentlichte Dokumente Hinweise auf das allgemeine Fachwissen zu früheren Zeitpunkten liefern, dies sei jedoch nicht grundsätzlich der Fall. In Ermangelung weiterer Beweise dafür, dass sich die relevanten Abschnitte in A4 und A5 auf allgemeines Fachwissen am Anmeldetag bezogen, seien A4 (und A5) für die zu behandelnde Frage nicht relevant. Mangels einer klaren Definition des "Formparameter"-Konzepts in der Patentschrift und eines vom Patentinhaber zu erbringenden Beweises, dass die fehlenden Informationen zum allgemeinen Fachwissen gehören, wäre die Fachperson nicht in der Lage gewesen, den beanspruchten Gegenstand auszuführen (Art. 83 EPÜ nicht erfüllt).
Die Sache T 2305/11 betraf das erfindungswesentliche Merkmal des "maximalen Löslichkeitsdrucks von maximal 1000 bar". Die Anmeldung enthielt keine konkreten Angaben zur Methode, wie dieser maximale Löslichkeitsdruck zu bestimmen sei, doch akzeptierte die Kammer zugunsten des Beschwerdeführers, dass der Fachperson geeignete Methoden bekannt waren. Eine entscheidende Informationslücke sah sie aber darin, dass in der Anmeldung weder offenbart war, dass in zahlreichen Fällen kein Maximum gefunden wird, noch wie in derartigen Fällen zu verfahren ist. Die Beschreibung gab der Fachperson keine brauchbare Anleitung. Es war nicht dargelegt, wie die genannten Offenbarungslücken und der Mangel an Anleitung durch das Fachwissen gefüllt bzw. behoben werden könnten.
In T 2004/14 (absorbierender Artikel) entschied die Kammer Folgendes: wenn das Patent keine Angabe hinsichtlich der Methode (und der Testbedingungen) zur Bestimmung des Absorptionsvermögens enthält, ist die Fachperson nicht in der Lage, die wesentliche Bedingung aus Anspruch 1 zuverlässig und nachvollziehbar festzustellen. Die Blotter-Methode war nicht das einzige der Fachperson bekannte gültige Testverfahren, und selbst wenn, würde dennoch mindestens der Wert für den Druck fehlen, der aufgewendet werden muss, um interstitielle Flüssigkeiten zu entfernen. Es überzeugte die Kammer nicht, dass die Blotter-Methode in angeblich 24 Patentveröffentlichungen offenbart wurde, da diese Patente nur von zwei Unternehmen stammten. Zudem war es wahrscheinlich, dass die Tests angesichts einer nicht standardisierten Blotter-Methode unter unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt würden – genau dies sollte durch Standards vermieden werden.
Nach ständiger Rechtsprechung (s. z. B. T 206/83, T 1040/03) ist eine detaillierte Offenbarung entbehrlich, wenn die Fachperson, der das allgemeine Fachwissen unmittelbar zur Verfügung steht, in der Lage ist, die Erfindung ohne erfinderisches Zutun in die Praxis umzusetzen. Dieser Grundsatz gilt offenkundig für sämtliche unter einen Anspruch fallenden Varianten (T 1018/05, auch zitiert in T 2301/12 hinsichtlich Varianten, die eindeutig außerhalb des praktischen Anwendungsbereichs des beanspruchten Gegenstands liegen, und hinsichtlich nicht erzielbarer Werte für einen Parameter).
Das Streitpatent muss Anleitungen enthalten, die es der Fachperson ermöglichen, herauszulesen, welche Verfahrensmerkmale für die Überwindung des Vorurteils entscheidend sind. Dies kann nicht der Fachperson selbst überlassen bleiben (T 419/12).
Im Fall T 377/17 stellte die Kammer fest, dass die Rechtsprechung seit den Entscheidungen T 171/84 und T 206/83 die Frage, welche Erkenntnisquellen im Rahmen von Art. 83 EPÜ heranzuziehen sind, klar dahin gehend beantwortet hat, dass dies nur die Patentschrift (ggf. einschließlich darin enthaltener Zitate) und das allgemeine, also potenziell allen auf dem Gebiet tätigen Fachleuten zugängliche Fachwissen sind. Geheimes Knowhow einzelner Porenbetonhersteller fällt hierunter nicht. Die Frage, wie ein Laborleiter ausgehend von solchem internen Knowhow die im Patent nicht oder falsch genannten Parameter bestimmt bzw. korrigiert hätte, ist daher für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen von Art. 83 EPÜ erfüllt sind, nicht relevant (Verweigerung eines unabhängigen Gutachtens). Die Kammer wies im Übrigen den Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer ab und erinnerte bei dieser Gelegenheit daran, was unter "Fachmann" zu verstehen ist (Nr. 9 der Gründe).
T 1861/11 betraf eine Erfindung zu Benutzerschnittstellen. Der Beschwerdeführer (Anmelder) offenbarte die Erfindung durch eine begriffliche Metapher ("3D Motion User Interface" – bewegungsbasierte 3D-Benutzerschnittstelle), und die betreffende Offenbarung war sehr kurz gehalten. Im vorliegenden Fall entschied die Kammer, dass von der Fachperson benötigte Details nicht offenbart wurden (Erfordernisse von Art. 83 EPÜ waren nicht erfüllt). Zudem konnte ein Offenbarungsmangel in Bezug auf die begrifflichen Grundlagen der Erfindung grundsätzlich nicht beseitigt werden, ohne gegen die in Art. 123 (2) EPÜ verankerten Einschränkungen zu verstoßen.
Patentschriften können in der Regel nicht zur Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung beitragen, es sei denn, dass sie dem fachmännischen Leser des fraglichen Patents gerade zur Verfügung stehen (T 171/84, ABl. 1986, 95). Ausnahmsweise können aber auch Patentschriften und wissenschaftliche Veröffentlichungen zum allgemeinen Fachwissen gehören, nämlich dann, wenn die Erfindung auf einem Forschungsgebiet liegt, das so neu ist, dass das entsprechende technische Wissen noch nicht in Standardlehrbüchern enthalten ist (so T 51/87, ABl. 1991, 177; s. auch T 772/89, T 676/94, T 1900/08, T 2196/15). Nach Ansicht der Kammer in der Sache T 676/94 sollte die Frage, ob bei der Beurteilung der ausreichenden Offenbarung der Inhalt einer Fachzeitschrift zum durchschnittlichen Wissen einer Fachperson gehört, jeweils im Einzelfall anhand der Tatsachen und Beweismittel beantwortet werden.
In T 1782/21 (Adern- und Hautmuster – Vorrichtung zur Verarbeitung biometrischer Informationen) enthielt die Anmeldung keine Angaben dazu, wie aus einem einzigen Bild zwei an der Oberfläche eines lebenden Körpers und unter der Haut ausgebildete biometrische Muster extrahiert werden können. Das allgemeine Fachwissen war entscheidend, um der hinreichenden Offenbarung ggf. Genüge zu tun. Die Kammer prüfte die vom Patentinhaber vorgelegten Dokumente (insbesondere D8, siehe Nr. 10 und 11 der Gründe) dahingehend, ob sie die fehlenden Kenntnisse offenbarten und ob sie dem allgemeinen Fachwissen entsprachen. D7 und D8 offenbarten nicht genügend Informationen, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie als allgemeines Fachwissen anzusehen waren. Die Kammer stellte unter Verweis auf T 412/09 (Reihe von Patentveröffentlichungen) fest, dass es sich bei D10 stellt nicht um eine "Reihe" handelt, und betrachtete das betreffende Verfahren nicht als allgemein bekannt, sondern als eine Erfindung der damaligen Zeit.
In T 1191/04 wurde entschieden, dass Verweise auf DVB-Standards den Anforderungen des Art. 83 EPÜ nicht genügen. In der Sache T 417/13 war die Größe der PVC-Partikel ein wichtiges Merkmal. Die Partikelgröße kann jedoch abhängig vom Messverfahren stark variieren. Die Beschreibung in der Anmeldung enthielt nur sehr begrenzte Informationen. Bei der Auswahl eines geeigneten Messverfahrens war die Fachperson daher auf sein allgemeines Fachwissen angewiesen. Die Kammer gelangte zu dem Schluss, dass sich die Fachperson im vorliegenden Fall bezüglich der PVC-Partikel nicht für ein Mess-, sondern für ein Siebverfahren z. B. nach der Norm ISO 1624 entschieden hätte. Des Weiteren wurde entschieden, dass in diesem Fall die physikalischen und mathematischen Sachverhalte zur Messung der Partikelgröße allgemein bekannt waren.
In T 1608/13 stellte die Kammer fest, dass ein Patentdokument an die Fachperson gerichtet ist, die es im Lichte des allgemeinen Fachwissens auf dem betreffenden technischen Gebiet auslegt. Folglich müssen nicht sämtliche Details der Erfindung ausdrücklich beschrieben werden, um eine ausreichende Offenbarung zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall würde die Fachperson zunächst nach geltenden Normen auf dem technischen Gebiet suchen, wenn das Patent keine Beschreibung des Messverfahrens zur Bestimmung des Siebkoeffizienten einer Membran enthält, mit der sich schädliche Substanzen durch Hämofiltration aus dem Blut entfernen lassen. Ob andere Messverfahren zur Verfügung standen, war nicht entscheidend, solange keine Nachweise dafür vorlagen, dass die Ergebnisse auf dem speziellen Gebiet der Erfindung je nach gewähltem Verfahren widersprüchlich ausfallen würden. Der Beschwerdegegner (Einsprechende) hat keine entsprechenden Nachweise erbracht.
In T 521/12 ließ Anspruch 1 insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang zwischen den Merkmalen im Oberbegriff des Anspruchs und den Merkmalen im kennzeichnenden Teil unterschiedliche Auslegungen zu. Da es jedoch nur um die ausreichende Offenbarung ging, war eine Auslegung des Anspruchswortlauts nur erforderlich, soweit sie für die Entscheidung relevant war, ob Art. 83 EPÜ eingehalten wurde. Nach Ansicht der Kammer folgte daraus implizit, dass der Ausdruck "portion of electronic information" in Merkmal g nicht alle möglichen Arten und Formate elektronisch gespeicherter Daten abdecken konnte, sondern je nach der Funktion, die die Informationen im Kontext des beanspruchten Gegenstands erfüllen sollten, sinnvoll ausgelegt werden musste. Die Fachperson, die die beanspruchte Erfindung ausführen will, würde daher die Art von "elektronischen Informationen" als nicht sinnvoll und nicht im Einklang mit der Lehre der Anmeldung ausschließen, die aufgrund ihres Inhalts und/oder Formats irrelevant oder ungeeignet waren.
T 658/04 fasste die Rechtsprechung zur Frage zusammen, was Teil des allgemeinen Fachwissens ist. Die Kammer befand, dass die Stellungnahme eines von dem Beschwerdeführer (Patentinhaber) beauftragten Sachverständigen nicht Teil des allgemeinen Fachwissens ist, wenn diese Stellungnahme allgemeine – nicht auf nachprüfbare Fakten beruhende – Ausführungen enthielt (s. auch Kapitel I.C.2.8.1. "Definition des allgemeines Fachwissens"). S. auch T 842/14 (mit Bezug auf G 1/92, ABl. 1993, 277) über die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine chemische Zusammensetzung eines auf dem Markt erhältlichen Produkts, das mit einer Marke im Anspruch bezeichnet wird, als Teil des allgemeinen Wissens der Fachperson gilt; und T 2196/15 als Beispiel für Schwierigkeiten das allgemeine Fachwissen zu beweisen.
In T 443/11 widersprach die Kammer der Prüfungsabteilung, die im Verfahrensverlauf argumentiert hatte, dass Anspruch 1 wörtlich auszulegen sei. Die Kammer verwies auf die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach Ansprüche so ausgelegt werden sollten, wie die Fachperson sie verstehen würde. Im vorliegenden Fall hätte die Fachperson erkannt, wie die mathematischen Operationen in den elektronischen Geräten zu implementieren waren.
Nach Auffassung der Kammer in der Sache T 1516/14 muss bei der Beurteilung der ausreichenden Offenbarung nicht geprüft werden, ob ein bestimmtes Merkmal den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik unterscheidet oder nicht bzw. ob es sich dabei bloß um die Feststellung von etwas handelt, das inhärent wahr ist. Ebenso wenig war es Aufgabe der Kammer, darüber anzustellen, warum im Prüfungsverfahren Vermutungen ein bestimmtes Merkmal in den Anspruch aufgenommen wurde. Die subjektiven Absichten des Patentinhabers sind bei der Auslegung der Ansprüche nur insofern relevant, als sie in der Patentschrift selbst ausdrücklich formuliert sind und sich deshalb aus dieser ableiten lassen. Die Kammer hatte sich nicht nur auf die interne Logik oder Syntax des Anspruchs verlassen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die Erfordernisse von Art. 83 EPÜ erfüllt waren; eine diesbezügliche Vorlage an die Große Beschwerdekammer sei nicht gerechtfertigt.
In T 1845/14 war in Anspruch 1 als Messverfahren zur Bestimmung der SCBD (Kurzkettenverzweigungsverteilung) die fraktionierte Kristallisationsanalyse (CRYSTAF®) definiert. In Bezug auf den strittigen Parameter SCBD kam die Kammer zu dem Schluss, dass die Bestimmung der SCBD mittels der CRYSTAF®-Technik für die Fachperson auf dem vorliegenden Gebiet reine Routine gewesen wäre; insbesondere wäre sie bei den nach der patentgemäßen Synthese erzeugten Copolymeren dazu in der Lage gewesen und hätte dabei aufgrund ihres Wissens die irreführenden Passagen der Patentschrift ignoriert, die offenkundig fehlerhaft waren oder nicht mit der Bestimmung der SCBD zusammenhingen.
In T 2133/14 hielt die Kammer im Orientierungssatz fest, dass "eine Erfindung nicht schon deshalb unzureichend offenbart im Sinne des Art. 83 EPÜ ist, weil die fehlende Stützung im Sinne des Art. 84 EPÜ für einen breiten Anspruch nicht durch die Beschreibung behoben werden kann". Die Fachperson hätte keine technische Schwierigkeit damit, auch in einem nicht standardisierten Szenario wie der Kommunikation zwischen einem Smartphone und einem Herzschrittmacher eine Art Abfrage-Antwort-Protokoll in Vorrichtungen zu implementieren. Der Einwand, dass ein Anspruch zu breit sei, um über seine ganze Breite durch die Beschreibung gestützt zu werden, kann ausgeräumt werden, indem der Anspruch auf eine Breite beschränkt wird, bei der dies der Fall ist.
Siehe auch T 383/14 (Sortiermaschine für die Weinlese), dieses Kapitel II.C.6.6.1.