Computergestützte Testmethode für sichere Malaria-Diagnose: Jan van den Boogaart und Oliver Hayden sind Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017
- Niederländischer Hämatologe und Österreichischer Biochemiker für Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Industrie" nominiert
- Erster automatisierter Bluttest für Malaria basiert auf der Identifizierung der zerstörerischen Effekte der Krankheit im Blut
- Erfindung speist „Fingerabdruck" von Malaria in Standard-Blutscanner mit der Fähigkeit, bis zu 120 Blutproben pro Stunde zu untersuchen, ein
- Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes: „Dank der Erfinder und ihrer schnellen, zuverlässigen und automatisierten Testmethode für Malaria können sich neue Maßstäbe im Kampf gegen diese tödliche Krankheit ergeben."
München, 26. April 2017 - Malaria ist eine der tödlichsten Infektionskrankheiten unserer Zeit - Hunderttausende sterben jährlich daran. Doch nur zehn Prozent aller Infektionen werden überhaupt erkannt. Denn die Symptome, wie etwa Fieber und Schüttelfrost, sind sehr unspezifisch und die bisherigen Testverfahren zeitaufwendig - oder zu ungenau. Dabei könnte eine schnelle, zuverlässige Diagnose allein in Afrika jährlich 100.000 Todesfälle und über 400 Millionen falsche Behandlungen verhindern. Genau das ist jetzt möglich: Bei Siemens Healthineers entwickelten der niederländische Hämatologe Jan van den Boogaart und der österreichische Biochemiker Oliver Hayden eine computerbasierte Testmethode, mit der sich die Infektion mit einer Genauigkeit von 97 Prozent erkennen lässt. Dafür identifizierten die Forscher spezifische, von der Krankheit hervorgerufene Veränderungen im Blut - den „Fingerabdruck" von Malaria. Dieser wird als eine Art Update in einen Blutscanner eingespeist, den Krankhäuser weltweit bereits zur vollautomatisierten Analyse von Blutproben nutzen.
Für diese Leistung wurden Jan van der Boogaart und Oliver Hayden für den Europäischen Erfinderpreis 2017 als Finalisten in der Kategorie „Industrie" nominiert. Am 15. Juni wird die Auszeichnung vom Europäischen Patentamt im Rahmen eines Festakts in Venedig zum zwölften Mal verliehen.
„Dank der Erfinder und ihrer schnellen, zuverlässigen und automatisierten Testmethode für Malaria können sich neue Maßstäbe im Kampf gegen diese tödliche Krankheit ergeben", so EPA-Präsident Benoît Battistelli. „Die Erfindung ist zudem beispielhaft für das Potential an positiven Effekten, das sich aus der wachsenden Konvergenz von Technologien für das Wohl von Menschen ableiten lässt."
Dem „Fingerabdruck" von Malaria auf der Spur
Während Malaria in Nordamerika und Europa verschwunden ist, betrifft sie weltweit weiterhin über 200 Millionen und tötete laut WHO 2015 etwa 430.000 Menschen. Ein Gespräch mit Kollegen in Südafrika in 2008 machte Jan van den Boogaart auf Veränderungen im Blutbild bei Malaria aufmerksam und war für ihn der Auslöser, sich genauer mit der Krankheit zu beschäftigen. Der Erreger, ein einzelliger Parasit der Gattung Plasmodium, wird durch den Stich der weiblichen Anopheles-Mücke übertragen und wurde zuerst 1880 vom französischen Militärarzt Alphonse Laveran als Ursache für die Krankheit identifiziert Diesen Erreger oder die Antigene im Blut nachzuweisen ist kompliziert - gerade im Anfangsstadium der Infektion. Genauere Resultate erhielt man nur mit mikroskopischen Untersuchungen durch geschultes Personal - eine große Hürde in medizinisch schwächer versorgten Regionen wie Afrika, das von Malaria besonders betroffen ist.
Van den Boogaart näherte sich der Krankheit von einer anderen, auf Daten gestützten Seite und schaffte unter Nutzung von Informationstechnologie den Durchbruch: „Statt den Malaria auslösenden Parasiten im Blut nachzuweisen - eine sehr zeitaufwendige Aufgabe - habe ich mich auf die destruktiven Effekte der Krankheit in den Blutzellen konzentriert. Diese Effekte können mit dem Blutanalysegerät ermittelt werden", berichtet der Forscher. So verringert sich beispielsweise die Anzahl der Blutplättchen. Für die gesammelten Daten steuerte Hayden die entscheidenden statistischen Analysen bei, so dass schließlich insgesamt 30 Parameter identifiziert werden konnten, die in ihrer Kombination Malaria zuverlässig nachweisen. „Mit dieser Methode können wir Malaria mit einer Genauigkeit von 97 Prozent diagnostizieren. Bislang war das unmöglich", sagt Hayden. Für diese Methode meldeten die beiden Forscher 2011 ein Patent an, das 2015 erteilt wurde.
Ein Blutscanner lernt Malaria (er)kennen
Was noch fehlte, war ein Gerät, das Blutproben automatisiert auf das spezielle Profil hin durchsucht. Dabei griffen die beiden Erfinder auf einen Standard-Blutscanner zurück, von dem weltweit bereits über 3.000 Stück in Krankenhäusern im Einsatz sind: der ADVIA 2120i. Dabei handelt es sich um ein etwa waschmaschinengroßes Gerät von Siemens Healthineers, das 120 Blutproben pro Stunde automatisiert auf bis zu 500 Parameter untersuchen kann, darunter auch die Daten, die für eine Diagnose von Malaria notwendig sind. Nun musste der Scanner nur noch „lernen" die Krankheit zu erkennen. Dafür legten van den Boogaart und Hayden - unter Einbindung von Teams in Wien und Graz - Algorithmen fest, die das Gerät zur Überprüfung der Blutprobe anwenden kann, und entwickelten somit eine Art Update. Damit stand das erste automatisierte Testverfahren für Malaria zur Verfügung. Krankenhäuser müssen dafür nicht einmal in neue Geräte investieren, was den Markteintritt erleichtert. Ein Durchbruch in der Malaria-Bekämpfung, der ganz neue Perspektiven eröffnet: Inzwischen arbeiten die Forscher daran, weitere Krankheiten - darunter auch Leukämie - so aufzuschlüsseln, dass der spezifische Datensatz ebenfalls eingelesen werden kann. „Mit unserem Ansatz können wir lebensbedrohliche Krankheiten mit einem Standardgerät feststellen - ohne spezielle Ausrüstung oder aufwendige Tests", so van den Boogaart.
Medizin trifft auf Informationstechnologie
Zu ihrem Erfolg trug entscheidend die Zusammenführung von medizinischem und von informationstechnologischem Wissen bei. Van den Boogaart widmet sich seit über 35 Jahren der Forschung im Bereich Hämatologie sowie der Entwicklung von Bluttests und ist als Erfinder in drei Patenten genannt. 1980 erlangte er seinen Bachelor-Abschluss in Mikrobiologie und ein Jahr später in Klinischer Chemie an der H.B.O. Eindhoven. Aktuell perfektioniert er als DX Produkt Manager bei Siemens Healthineers in Den Haag die „Daten-Fingerabdruck"-Methode für automatisierte Bluttests für Sichelzellanämie und Promyelozytenleukämie. Seine Überzeugung: „Wenn du die im Blut versteckten Informationen lesen kannst, weißt du fast alles über den Körper."
Oliver Hayden entdeckte sein Interesse für datenbasierte Analysen, das er in die Erfindung einbrachte, während seiner Postdoc-Forschung in Nanotechnologie in Harvard, nach seiner Promotion in Biochemie an der Universität in Wien. Als Leiter für Invitro-Diagnostik und Biowissenschaft Deutschland bei Siemens Healthineers in Erlangen trieb er die nächste Generation von Hämatologie-Analyseprogrammen maßgeblich voran. 2017 wurde er auf den Heinz-Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik an der Technischen Universität München berufen. Er ist Erfinder und Miterfinder von nahezu 100 Patentfamilien.
Neues Einsatzgebiet in einem stark wachsenden Markt
Mit dem neuen Anwendungsgebiet im Bereich der Malaria-Diagnose öffnet sich für den ADVIA 2120i ein Markt mit großem Wachstum. Schätzungen zufolge summiert sich die wirtschaftliche Belastung durch Malaria in afrikanischen Ländern, wo nahezu 86 Prozent der Erkrankungen auftreten, auf rund 11,1 Milliarden Euro pro Jahr. Mit der computergestützten Genauigkeit und der Verarbeitungsgeschwindigkeit hat die Erfindung das Potenzial, den Malaria-Diagnose-Markt zu verändern. 2015 lag der Wert dieses Markts bei 535 Millionen Euro, 2022 dürfte er Schätzungen zufolge 728 Millionen Euro erreichen. Dabei bleibt Afrika die dominierende Region mit einem Anteil von 58 Prozent. Aber auch Reisende, die mit einer Malariainfektion heimkehren, profitieren von dem neuen Testverfahren, denn derzeit werden über 59 Prozent der Fälle zunächst falsch diagnostiziert. So vergehen fast acht Tage, bis die richtige Behandlung eingesetzt wird - eine kritische Woche, in der die Risiken für Komplikationen gefährlich steigen.
Medien- und Servicepaket:
Weiterführendes Informationsmaterial
- Video- und Fotomaterial
- Erfahren Sie mehr über die Erfinder
- Der Blick auf das Patent: EP2635695
Die datengetriebene Zukunft der Medizin
In den vergangenen 15 Jahren waren medizinischer Technologien die führende Kategorie unter den Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt (EPA). Eine Kombination von personenbezogenen Patientendaten - darunter DNA und Blutproben - mit leistungsfähigen Computeranalysen verändert derzeit das Forschungsfeld. Die datengestützte Testmethode für Malaria ist nur ein Beispiel für eine neue Generation der Diagnostik, die Computer nutzt, um Muster in einer sehr großen Menge an Informationen ausfindig zu machen. Letztlich wird die Schnittstellte von Medizin und Informationstechnologie nicht nur komplexe Diagnosen mit algorithmischer Genauigkeit ermöglichen, sondern auch den Weg für personalisierte, patentientbezogene Behandlungen erschließen.
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