Neue Technologie hält Spenderorgane „am Leben“ – Waleed Hassanein ist Finalist für den Europäischen Erfinderpreis 2017
- US-amerikanischer Herzchirurg Waleed Hassanein für Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten" nominiert
- Hassanein entwickelte das Organ Care System (OCS), das Spenderorgane außerhalb des menschlichen Körpers am Leben und funktionsfähig erhält
- System ahmt die Bedingungen im menschlichen Körper ex vivo nach
- Bei über 800 Transplantationen erfolgreich genutzt: Neue Methode lässt Erfolgsrate bei Transplantationen steigen
- Erfinder perfektionierte Apparaturen, um Spenderorgane zu schützen
- Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes: „Hassaneins Technologie des ‚lebenden Organs‘ liefert einen neuen Ansatz für die Konservierung von Organen für die Transplantation und neue Hoffnung für Empfänger."
München, 26. April 2017 - Über viele Jahrzehnte hinweg wurden Spenderorgane während des Transports zum Empfänger buchstäblich auf Eis gelegt. Bei dieser Konservierungsmethode gibt es nur ein kurzes Zeitfenster, bevor die Organe schwere Schäden durch Kälte erleiden, und zudem ein hohes Risiko für postoperative Komplikationen. Der US-amerikanische Herzchirurg Waleed Hassanein (48) entwickelte mit dem Organ Care System (OCS) eine echte Alternative. Das durch zahlreiche Patente geschützte System erhält Spenderorgane vor der Transplantation außerhalb des menschlichen Körpers bis zu dreimal länger am Leben und funktionsfähig, indem es die Bedingungen im menschlichen Körper simuliert, Organe weiter durchblutet und mit allen essenziellen Nährstoffen versorgt. Seit seiner Einführung 2007 wurde das OCS bei über 800 erfolgreichen Transplantationen genutzt.
Für diese Leistung wurde Waleed Hassanein für den Europäischen Erfinderpreis 2017 als einer von drei Finalisten in der Kategorie „Nicht-EPO-Staaten" nominiert. Am 15. Juni wird die Auszeichnung im Rahmen eines Festakts in Venedig zum zwölften Mal verliehen.
„Hassaneins Technologie des ‚lebenden Organs‘ liefert einen neuen Ansatz für die Konservierung von Organen für die Transplantation und neue Hoffnung für Empfänger", so EPA-Präsident Benoît Battistelli. „Die Erfindung könnte eine jahrzehntealte Methode in der klinischen Praxis ersetzen und half bereits dabei, ein erfolgreiches Unternehmen zu gründen."
Ein Paradigmenwechsel in der Transplantationsmedizin
Die Entnahme und vor allem die Konservierung eines Spenderorgans entscheiden maßgeblich darüber, ob es nach der Transplantation zu seiner normalen Funktion zurückkehren kann. Beim bisherigen „goldenen Standard", der Kühllagerung, werden Organe mit kalten intra- oder extrazellulären kristalloidbasierten Lösungen bei hypothermen Temperaturen abgespült. Das Organ ist in einem ischämischen, also mangelhaft oder nicht durchbluteten, nicht funktionierenden und nicht physiologischen Zustand. Doch die sichere Konservierung ist nur über wenige Stunden - maximal vier für ein menschliches Herz - gewährleistet, der Organzustand kann nicht optimiert und die Lebensfähigkeit der Organe nicht eingeschätzt werden. Auch Waleed Hassanein erlebte bei seiner ersten Herztransplantation, wie das Spenderherz in eine Kühlbox gelegt wurde. „Als ich sah, wie ein menschliches Herz - das Organ, für dessen Schutz ich ausgebildet wurde - in eine Art Kühltasche gelegt wurde, wusste ich, dass es dafür einen besseren Weg geben musste", sagt der Herzchirurg. Von da an experimentierte er damit, Organe in einer warmen Umgebung zu halten, versorgt mit nährstoffreichem Blut. Die gewonnenen Einblicke bildeten die Grundlage für sein vielversprechendes Organ Care System.
Hinter der OCS-Technologie liegt ein komplett neuer Ansatz der Organkonservierung: Organe auf Eis zu lagern zögert lediglich den unvermeidbaren Organtod hinaus - Waleed Hassaneins Methode dagegen verlängert das Organleben, während es zum Empfänger transportiert wird. „Das System ermöglicht es, Spenderorgane außerhalb des menschlichen Körpers in einem fast physiologischen und funktionierenden Zustand zu erhalten. Herzen schlagen weiter, Lungen atmen, Lebern produzieren Galle und Nieren produzieren Urin", sagt Hassanein. Dafür kopiert das OCS menschliche Körperfunktionen und versorgt Spenderorgane über ein sogenanntes Perfusionssystem kontinuierlich mit warmem, mit Sauerstoff angereichertem Blut, Nährstoffen und Hormonen. Das passiert in einer durchsichtigen, sterilen und temperaturgeregelten Kammer. Ausgestattet mit Pumpen, Ventilationssystemen und Kontrollsensoren haben die OCS-Apparaturen gerade einmal die Größe kleiner Kühlschränke. Das OCS ist also komplex, aber transportabel. Und kann so schnell in Krankenwagen oder Rettungshelikopter gebracht werden um Ärzten damit einen Vorsprung im Wettlauf gegen die Zeit zu verschaffen. Das OCS wurde zunächst für menschliche Spenderherzen entwickelt, funktioniert inzwischen aber auch bei Lungen und anderen inneren Organen.
Neue Hoffnung für Transplantat-Empfänger
Rund 120 000 Menschen stehen in den USA derzeit auf der Warteliste für eine Organtransplantation, ungefähr 86 000 sind es in der EU und Nachbarländern wie Island, Norwegen und der Türkei. Das Organ Care System macht Hoffnung, denn durch seine Technologie vergrößert es den Pool brauchbarer Spenderorgane. Das OCS Lungensystem halbiert für Patienten zudem das Risiko, die schwerste Form klinischer Komplikationen nach einer Transplantation zu erleiden, die sogenannte PGD (Primary Graft Dysfunction), bei welcher der Körper das neue Organ abstößt.
Eine breite Übernahme des OCS könnte ein allumfassendes Netzwerk lebender Organe zwischen Spendern, Kliniken und Empfängern schaffen. Das britische National Institute for Health and Care Excellence sprach bereits 2016 eine Empfehlung für den klinischen Gebrauch des OCS Herzsystems aus. In der Praxis konnte ein Herz bereits für knapp 11 Stunden konserviert und transportiert werden. Hassanein glaubt, dass die OCS-Technologie zukünftig auch ex vivo Chemotherapie und Gentherapie sowie Reproduktionsmedizin an isolierten Organen ermöglichen kann. „Wir sind vollkommen überzeugt davon, dass das Organ Care System die Organtransplantation transformieren und mehr sowie bessere Organe für sehr kranke Patienten zur Verfügung stellen wird", sagt sein Erfinder.
Ein Startup für die Transplantationsmedizin
1998 gründete Waleed Hassanein das Startup-Unternehmen TransMedics, um seine patentierten Erfindungen zu vermarkten. TransMedics bereitete den Weg für das neue Konzept der warmen ex vivo Perfusion von Spenderorganen. Dank der OCS-Patente konnte das Startup, das 70 Mitarbeiter beschäftigt, inzwischen 280 Mio. Euro an Risiko- und Eigenkapital einwerben. In der Europäischen Union ist die OCS-Technologieplattform - bestehend aus OCS Lungen-, OCS Herz- und OCS Lebersystemen - bereits CE-gekennzeichnet, in Australien und Kanada für den Gebrauch zugelassen. In den USA wird sie derzeit von der Food and Drug Administration (FDA) überprüft. Analysen besagen, dass die Erfindung starke Auswirkungen auf den Markt für Organkonservierungen haben wird, der bis 2019 einen Wert von 189 Millionen Euro pro Jahr erreichen könnte.
Patienten stehen an erster Stelle
Waleed Hassanein wurde in einem Vorort von Kairo in Ägypten geboren, immigrierte 1990 in die USA und ist jetzt US-Bürger. Er erwarb 1993 seinen Doktortitel in Medizin an der Georgetown University School of Medicine in Washington, DC. Hier entschied sich der Herzchirurg auch dafür, die Aussichten von Organempfängern mit seinen Methoden zu verbessern. Heute ist Hassanein CEO, Präsident und Direktor seines Startups mit Hauptsitz in Massachusetts und hofft, dass sein Konzept der „Transplantation lebender Organe" die klinische Praxis verändern wird. „Der Wettlauf gegen die Zeit ist nun vorbei. Die Organe leben ja außerhalb des Körpers weiter. Theoretisch bis zu zwei Tage, vielleicht sogar länger! Die Operationen werden durch diese Technik planbar", sagt Hassanein, der momentan daran arbeitet, seine Technologie noch für weitere Organe zu erschließen.
Medien- und Servicepaket:
- Onlinefähiges Videomaterial und Fotos
- Über die Erfinder
- Der Blick auf die Patente: EP1768490
Innovationen in der Transplantation
Waleed Hassanein ist beim diesjährigen Erfinderpreis nicht als einziger Wissenschaftler für eine Erfindung nominiert, die die Überlebenschancen für Empfänger von Spenderorganen erhöht. In der Kategorie „Industrie" ist der italienische Nephrologe Giuseppe Remuzzi ein Finalist für die Erfindung von Medikamenten, die Angiotensin-konvertierende Enzyme (ACE-Hemmer) nutzen, um Nierenversagen nach Organtransplantationen vorzubeugen. Lesen Sie mehr über die Zukunft der Medizin.
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