6.2.1 Neuheitsschädliche Vorwegnahme einzelner Verbindungen
Laut der Entscheidung T 12/81 (ABl. 1982, 296) kann das Endprodukt der Reaktion eines bestimmten Paares von Ausgangsstoffen als neue Auswahl im patentrechtlichen Sinne angesehen werden, wenn für seine Herstellung zweierlei Klassen von Ausgangsstoffen notwendig sind, die jeweils in einer Auflistung gewissen Umfangs aufgeführt sind. Dieses Kriterium ist auf Gemische aus zwei Stoffen, die aus zwei Listen ausgewählt wurden, angewandt (T 401/94) und in späteren Entscheidungen bestätigt worden (T 211/93, T 175/86, T 806/02, T 2436/10).
In T 401/94 griff die Kammer ein in der Entscheidung T 12/81 (ABl. 1982, 296) dargelegtes Kriterium für Auswahlerfindungen auf, wonach, wenn zur Herstellung der Endprodukte zweierlei Klassen von Ausgangsstoffen notwendig und hierfür Beispiele für Einzelindividuen jeweils in einer Auflistung gewissen Umfangs zusammengestellt sind, ein Stoff, der durch Umsetzung eines speziellen Paars aus beiden Listen zustande kommt, als Auswahl im patentrechtlichen Sinne und damit als neu angesehen werden kann. Die Kammer stellte fest, dass es in der älteren Entscheidung zwar um die Synthese eines chemischen Erzeugnisses und hier um ein Gemisch ging, dass der beanspruchte Gegenstand jedoch in beiden Fällen auf der Grundlage zweier chemischer Stoffe definiert wurde, die jeweils aus einer Liste von Verbindungen ausgewählt wurden, sodass die in T 12/81 dargelegten Kriterien auf den vorliegenden Fall anwendbar waren. Entsprechend vertrat die Kammer die Ansicht, dass die hier beanspruchte Zusammensetzung als Auswahl zu betrachten und somit neu sei, weil sie einer bestimmten Kombination von Bestandteilen entspreche, die jeweils aus einer Auflistung gewissen Umfangs ausgewählt wurden.
In T 366/96 urteilte die Kammer: Wenn die Fachperson, die zwei Komponenten eines Stoffgemisches aus zwei bekannten Listen möglicher Zutaten auswählen muss, aufgrund technischer Zwänge keine Wahl hinsichtlich der zweiten Komponente aus der zweiten Liste bleibt, sobald sie sich für eine Komponente aus der ersten Liste entschieden hat, dann kann dies nicht als "zweifache Auswahl" angesehen werde, die der daraus resultierenden Kombination Neuheit verleihen könnte.
Ein Gemisch, das ein Lösungsmittel mit einem Reinheitsgrad von über 99 % enthält, wurde von der Kammer in der Sache T 112/00 für neu gegenüber einem Gemisch mit einem solchen Lösungsmittel aus dem Stand der Technik befunden, bei dem der Reinheitsgrad des Lösungsmittels nicht angegeben war. Die Kammer erklärte, dass das beanspruchte Gemisch als Endprodukt und das Lösungsmittel als Ausgangsstoff angesehen werden kann. Wie in T 786/00 würde der festgelegte Reinheitsgrad des Ausgangsstoffs die Neuheit begründen.