Schweizer Lasertechnik-Pionierin Ursula Keller als Finalistin für Europäischen Erfinderpreis 2018 nominiert
- Europäisches Patentamt (EPA) nominiert die Schweizer Physikerin Ursula Keller in der Kategorie Lebenswerk für ihren Beitrag zur ultraschnellen Lasertechnologie
- In ihrer 30-jährigen Karriere entwickelte Keller Schlüsseltechnologien, die den breiten Einsatz von ultraschnellen Lasern in der Industrie und Medizin möglich machen
- Ihr SESAM-Prinzip wird in nahezu allen marktgängigen ultraschnellen Lasern für die Mikrobearbeitung, Werkstoffverarbeitung und medizinische Chirurgie genutzt
- EPA-Präsident Battistelli: „"Ursula Keller hatte den Mut, neue Wege zu beschreiten und hat so für die Lasertechnik vollkommen neue Einsatzmöglichkeiten erschlossen. Wir verdanken ihr viele neue nutzbringende Anwendungen in der Medizin und Industrie."
München, 24. April 2018 - Seit mehr als drei Jahrzehnten steht die Schweizer Physikerin, Erfinderin und Universitätsprofessorin Ursula Keller an der Spitze des Fortschritts in der ultraschnellen Lasertechnologie. Sie arbeitete daran, die kurzen, energetischen Lichtpulse von Lasern (Laserpulse) auf winzig kleine Zeitschnipsel zu reduzieren. Keller ist die Erfinderin von SESAM („Semiconductor Saturable Absorber Mirror"), der ersten praktischen Methode, um ultraschnelle Pulse in Festkörperlasern zu erzeugen. Das Prinzip ist heute Industriestandard in Bereichen wie Elektronikfertigung über Automobilherstellung bis zur medizinischen Chirurgie und Diagnostik. Die Physikerin entwickelte das SESAM-Konzept zudem für den Einsatz in neuen kompakten und einfach herzustellenden Lasermodellen für Verbraucherelektronik und andere Applikationen weiter. Keller ist darüber hinaus Wegbereiterin für sensitive Lasertechnik, die das Universum auf Quantenebene erforschen kann.
Für diese Leistungen wurde Ursula Keller für den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie „Lebenswerk" nominiert. Der Innovationspreis des EPA wird am 7. Juni 2018 im Rahmen eines Festakts in Paris, Saint-Germain-en-Laye verliehen.
„Die von Ursula Keller entwickelte Technologie war der Wegbereiter für die industrielle Anwendung von ultraschnellen Lasern in vielfältigsten Bereichen - von Computern und Smartphones bis hin zu Fahrzeugen und der Medizintechnologie. Ihre Arbeit hatte maßgeblichen Einfluss, da sie in der Lasertechnologie neue Wege aufgezeigt hat, und verfügt zudem über das Potenzial, die technischen Grenzen der wissenschaftlichen Forschung zu verschieben. Ihre Leistung stärkt Europas führende Rolle in Bereich der ultraschnellen Laserforschung und -implementierung", so EPA-Präsident Benoît Battistelli.
Integration ultraschneller Laser in Festkörperlaser
Kellers große Wirkung auf das Gebiet der Lasertechnik nahm in den frühen 1990er-Jahre ihren Lauf. Kurz nach ihrer Promotion in angewandter Physik an der Stanford University begann sie 1989 in den AT&T Bell Laboratories in New Jersey zu arbeiten, wo sie ihr eigenes Labor aufbaute. Ihr Ziel war es, eine Lösung für eine technische Herausforderung zu finden, die Laserwissenschaftler schon lange beschäfigt hatte: die Entwicklung einer praktischen Methode, um kontinuierliche Lichtwellen auf ultraschnelle Lichtpulse zu verkürzen. Bei der sogenannten passiven Modenkopplung - eine der möglichen Antworten auf dieses grundlegende Problem - werden die Spiegel im Laser so modifiziert, dass die Höhen und Tiefen der Lichtwellen ausgenutzt werden können. Diese Technik absorbiert alle außer den höchsten Abschnitten der Peaks einer Lichtwellenlänge, bis der Absorber „gesättigt" ist und nur die größten Sprünge zur weiteren Verstärkung zurückreflektiert werden. Sobald ein Schwellenwert erreicht wird, können winzige, energetische Pulse, die kürzer als eine Billionstelsekunde sind, in schneller Abfolge freigesetzt werden.
Diese Methode war bereits 25 Jahre vorher, sechs Jahre nach der Erfindung des ersten Lasers, getestet worden, allerdings mit wenig Erfolg. Für die Lösung des Problems setzte die Schweizer Physikerin Halbleitertechnik ein. Indem Keller die Spiegel in einem herkömmlichen Laserhohlraum mit dem „Semiconductor Saturable Absorber Mirror" (SESAM) ersetzte, verwandelte sie einen Dauerstrichlaser in einen ultraschnellen Laser mit unglaublich schnellen Impulsdauern von Pikosekunden (Billionstel einer Sekunde/10-12) bis auf unter fünf Femtosekunden (10-15 Sekunden). Die Physikerin löste so nicht nur ein leidiges Problem der Laserwissenschaft: Die hochintensiven und ultraschnellen Impulsraten („gepulstes Laserlicht"), die mit SESAM ausgestattete Laser produzieren können, haben auch eine Vielfalt an neuen Anwendungen ermöglicht. Dazu gehören extrem akurates Schneiden in der Chirurgie und genauere Datenübertragung in der Telekommunikation. „Sobald SESAM entwickelt worden war, wusste ich, dass die Methode wahrscheinlich goße Auswirkungen haben würde", sagt Keller.
Große Wirkung mit viel Energie
Die kurzen Lichtimpulse eines ultraschnellen Lasers dauern nur wenige Billionstel einer Sekunde (Pikosekunde) oder kürzer und werden in schneller Wiederholung von bis zu mehreren Milliarden Mal pro Sekunde freigesetzt (GHz Takt). Dies ermöglicht es, sehr kleine, dünne Tranchen von einem Material zu entfernen - und zwar nicht durch Hitze wie bei anderen Lasern - sondern durch einen Prozess, der als „kalte Ablation" bekannt ist. Dank kalter Ablation und Zielgenauigkeit im Bereich von einem Tausendstel der Breite eines menschlichen Haares, können ultraschnelle Laser die feinen Details auf Glas, Polymer und Siliziumsubstrat herstellen, die ansonsten bei hohen Temperaturen reißen oder verspröden würden. Wichtige Einsatzgebiete sind beispielsweise beim Schneiden des gehärteten Glases, das für Smartphone-Bildschirme genutzt wird, oder bei der Herstellung der feinen Maserung in Flachbildschirmen für Monitore und Fernseher.
Ultraschnelle Laser kommen in der Automobilindustrie zum Einsatz, wo sie beispielsweise das Sprühmuster von Einspritzventilen optimieren können und den Kraftstoffverbrauch um zehn Prozent oder mehr verringern, ohne die Leistung zu beeinträchtigen. Für medizinische Anwendungen, insbesondere im Bereich der Augenchirurgie, liefern mit SESAM ausgerüstete Laser genau die Energiemenge, die nötig ist, um feine Einschnitte zu machen, ohne das umgebende Gewebe zu verletzen. In der Verarbeitung moderner Werkstoffe, wie High-Tech-Keramiken, Labs-on-Chips oder innovativen Solarzellen, erweitern sie das Materialspektrum, das bei der Verbesserung von Herstellungstechniken und im Rahmen der Reduzierung von Abfall genutzt werden kann. „Es gibt kaum etwas, das nicht mit kurzpulsigen Lasern weiterverabeitet wird und es werden immer mehr Anwendungen. Dies ist einer der am schnellsten wachsenden Märkte in der Laserbearbeitung", erläutert Keller.
Von angewandter Wissenschaft über die Lehre zur Förderung der Wissenschaft
1993 verließ Keller die AT&T Bell Laboratories, um eine Professur im Fachbereich Physik der ETH Zürich anzunehmen. Sie arbeitete weiter an ihrer SESAM-Idee und baute das Prinzip in andere Lasertypen ein. Dies führte zu mehreren wichtigen europäischen Patenten. Außerdem wurde die SESAM-Technologie auf preiswerte Laser-Lichtquellen ausgeweitet und die Performance weiter verbessert, so dass der Einsatz für Laser-Displays, die Telekommunikation und als Lichtquelle für medizinische Bildgebungstechnologien möglich wurde und ultraschnelle Laser auch in der Verbraucherelektronik Anwendung finden. Hierzu gehören etwa Laser in Spielkonsolen, die nicht nur in der Lage sind, Körperbewegungen zu erkennen, sondern auch Gesichtsausdrücke, sowie LIDAR-Systeme in selbstfahrenden Autos, die mit Laserimpulsen Bilder von der Umgebung erstellen.
Kellers untypischer Karriereverlauf von angewandter Wissenschafter zu Professorin an einer Universität ermöglichte es ihr, die Grenzen der Lasertechnologie noch weiter auszutesten: „Normalerweise fängt man andersrum an: erst Grundlagenforschung, dann angewandte Forschung. Als Frau in der Physik war es für mich aber leichter, mich erst mit einem technischen Durchbruch zu etablieren und dann an eine Universität zu gehen, wo ich dann daran arbeiten konnte, die Leistung noch weiter zu verbessern."
Angetrieben von Neugier nutzte die Schweizerin die Lasertechnik auch, um einige der verzwicktesten Fragen der Quantenphysik zu untersuchen: Sie entwickelte die „Attoclock" als eines der weltweit am feinsten austarierten Geräte für die Zeitmessung, das Zeitintervalle bis auf wenige Attosekunden - oder den milliardsten Teil einer Milliardstel Sekunde - erfassen kann. Zum Vergleich: Eine Attosekunde ist im Verhältnis zu einer Sekunde, was eine Sekunde im Verhältnis zu rund 31,7 Milliarden Jahren ist. Eine Attosekunde ist auch ungefähr die Zeitdauer, die Licht benötigt, um sich zwischen benachbarten Atomen zu bewegen.
Die Attoclock hilft auch dabei, die Geheimnisse des Tunneleffekts zu entschlüsseln. Dieses Phänomen erlaubt es einem Elektron, sich durch ein dünnes, festes Hindernis zu bewegen. Die Attoclock „friert" die Bewegung sich schnell bewegender Objekte wie Elektronen ein und ermöglicht es so, Prozesse wie den Tunneleffekt mit großer Präzision zu timen. „Wir hoffen mit Hilfe dieser Uhren auch irgendwann messen zu können, ob unsere Naturkonstanten wirklich konstant sind", sagt Keller dazu. Diese wissenschaftliche Erkenntnis könnte uns eines Tages dabei helfen, die Photosynthese und andere photochemische Reaktionen besser zu verstehen, oder potenziell zur Entwicklung von extrem schnellen Supercomputern führen.
Europa als Leuchtturm für Laserforschung
Keller gründete 1994 das Spin-off-Unternehmen Time-Bandwidth Products, um ihre Entwicklungen zum SESAM-Konzept zu vermarkten. 2014 wurde das Unternehmen von JDSU (jetzt: Lumentum) gekauft.
Der schnell wachsende weltweite Markt für ultraschnelle Laser wurde 2017 mit 2,2 Millarden Euro bewertet. Dies entspricht einem Fünftel des globalen Lasergesamtmarkts. Bis 2023 wird - angetrieben von der Nachfrage in Sektoren wie der Automobilindustrie - ein Wachstum auf 8,3 Milliarden Euro prognostiziert.
Europa spielt sowohl bei der Herstellung von ultraschnellen Lasern als auch der entsprechenden Forschung eine wichtige Rolle. Die hohe Konzentration an Laser-Expertise hat dazu beigetragen, dass rund 73 Prozent aller hochintensiven (Petawatt-Kategorie), ultraschnellen Laser in Europa zu finden sind. Dazu kommt das integrierte LaserLab Europe Konsortium, das die wichtigsten Forschungszentren wie ETH Zürich, die Universität Jena, ParisTechs Institut d'Optique and das Max-Planck-Institut für Quantenoptik mit führenden Laserherstellern in diesem Bereich zusammenbringt, wie zum Beispiel Amplitude Systèmes in Frankreich und Trumpf in Deutschland.
Fokus: Forschung und Nachwuchsförderung
Als eine der führenden internationalen Wissenschaftlerinnen im Bereich ultraschnelle Photonik hat Keller mehr als 440 wissenschaftliche Artikel und elf Buchkapitel veröffentlicht. Sie ist Inhaberin sieben europäischer Patente. Zu ihren vielen Auszeichnungen gehören der IEEE Photonics Award (2018), der Weizmann Women & Science Award (2017) sowie OSA Charles H. Townes Award (2015) und sie ist Geoffrey Frew Fellow der Australian Academy of Science (2015). Seit 2010 ist sie zudem Direktorin des National Centre of Competence in Research für Molecular Ultrafast Science and Technology (NCCR MUST, Nationales Zentrum für Forschungskompetenzen, Schweiz). 2014 wurde sie Mitglied im Forschungsrat des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.
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Blick auf die Patente: EP1735681, EP1456916
Laser: ein begehrtes Tool für Präzision
Laser haben in den vergangenen Jahren für die Innovationen verschiedener Finalisten und Gewinner des Europäischen Erfinderpreises eine zentrale Rolle gespielt. Dazu zählen die Erfinder der optischen Kohärenztomographie (OCT) James G. Fujimoto, Eric A. Swanson und Robert Huber (2017; Nicht-EPO-Staaten - Gewinner), der Entwickler der Kodierung moderner CD, DVD und Blu-ray-Datenträger, Kornelis Schouhamer Immink (2015; Lebenswerk - Finalist), Josef Bille (2012; Lebenswerk - Gewinner) als Pionier der Augenlaserchirurgie, die Erfinder der Quantenkaskadenlaser Federico Capasso, Jérôme Faist und Team (2012; Nicht-EPO-Staaten - Finalisten) und die Erfinder des Laserscanning-Ophtalmoskops Douglas Anderson und Team (2008; KMU/Forschung, Gewinner).
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