8. Nationale Entscheidungen und Gesetzgebung in Vertragsstaaten des EPÜ
8.2. Nationale Entscheidungen: keine Bindungswirkung für die Beschwerdekammern
In T 452/91 stellte die Kammer fest, dass über Fragen der Patentierbarkeit in Verfahren vor dem EPA allein auf der Grundlage des EPÜ 1973 entschieden werden dürfe. Nationale Entscheidungen dürften nicht als für das EPA verbindlich zitiert und Patentansprüche vom EPA nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass ihre "Patentfähigkeit nach dem Recht eines Mitgliedstaats keinen Bestand hat": Es könne nämlich sein, dass das Recht der meisten oder aller übrigen Vertragsstaaten anders sei. Die Gründe, die für das nationale Gericht bei seiner Entscheidung maßgebend gewesen seien, könnten eine Instanz des EPA durchaus zu einer auf das EPÜ 1973 gegründeten vergleichbaren Entscheidung gelangen lassen, doch bedürfe es dazu zunächst einer sorgfältigen Betrachtung des Übereinkommens und der einschlägigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, eines Vergleichs mit dem Recht und der Rechtspraxis, durch die das nationale Gericht zu seiner Entscheidung gelangt sei, und einer Untersuchung der Gegebenheiten in anderen Vertragsstaaten. S. auch R 21/09, T 1753/06.
In T 154/04 (ABl. 2008, 46) urteilte die Kammer, dass die Berücksichtigung von Entscheidungen und Stellungnahmen nationaler Gerichte in Verfahren vor dem EPA, eine Beschwerdekammer nicht von ihrer Pflicht als unabhängiges Rechtsprechungsorgan entbindet, das EPÜ auszulegen und anzuwenden sowie in letzter Instanz über Patenterteilungsfragen zu entscheiden. Darüber hinaus ist es trotz harmonisierter Rechtsvorschriften nicht selbstverständlich, dass auch die Auslegung zwischen verschiedenen nationalen Gerichten, geschweige denn zwischen Gerichten verschiedener Vertragsstaaten harmonisiert ist, sodass die Beschwerdekammern nicht mehr wüssten, welcher Auslegung zu folgen sei, wenn sie nicht ihr eigenes unabhängiges Urteil fällten.