2.2.8 Angabe von Tatsachen und Beweismitteln und Argumenten – Substanziierung der Einspruchsgründe
In T 222/85 (ABl. 1988, 128) vertrat die Kammer die Auffassung, dass das dritte Erfordernis nur dann erfüllt ist, wenn die Einspruchsschrift vom Inhalt her geeignet ist, das Vorbringen des Einsprechenden aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns auf dem Gebiet, auf das sich das angefochtene Patent bezieht, objektiv verständlich zu machen. Nach Ansicht der Kammer soll mit dem dritten Erfordernis der R. 55 c) EPÜ 1973 (R. 76 (2) c) EPÜ) (in Verbindung mit den ersten zwei Erfordernissen) sichergestellt werden, dass der Standpunkt des Einsprechenden in der Einspruchsschrift so deutlich dargelegt wird, dass sowohl der Patentinhaber als auch die Einspruchsabteilung wissen, worum es bei dem Einspruch geht. Während die von R. 55 a) und b) EPÜ 1973 (R. 76 (2) a) und b) EPÜ) vorgesehenen Erfordernisse und die Erfordernisse 2 und 3 der R. 55 c) EPÜ 1973 eher formeller Natur sind, ist das Erfordernis 3 der R. 55 c) EPÜ 1973 i. V. m. Art. 99 (1) EPÜ sachlicher Natur und verlangt eine Begründung, die auf den Kern des Einspruchs eingeht. Eine gut formulierte Einspruchsschrift sollte eine kurze, aber vollständige Begründung enthalten. Im Allgemeinen wird eine Einspruchsschrift umso eher als unzulässig verworfen, je weniger Gründe sie enthält (ähnlich T 925/91, ABl. 1995, 469; vgl. auch T 2/89, ABl. 1991, 51; T 448/89, ABl. 1992, 361; T 545/91, T 204/91). Nach Auffassung der Kammer lässt sich die Frage, ob eine Einspruchsschrift die sachlichen Mindestanforderungen des Art. 99 (1) EPÜ 1973 und der R. 55 c) EPÜ 1973 erfüllt, nur aus dem Gesamtzusammenhang des betreffenden Falles heraus entscheiden (da einige relevante Faktoren, wie z. B. der Schwierigkeitsgrad der zu entscheidenden Fragen, von Fall zu Fall verschieden sind) – s. auch z. B. T 534/98, T 1097/98, T 934/99, T 426/08.
In T 134/88 stellte die Kammer fest, dass Vorbringen, die unter keinen Einspruchsgrund subsumierbar sind, außer Betracht zu bleiben haben (s. auch z. B. T 521/00).
In T 623/18 grenzte die Kammer die in T 222/85 und T 134/88 aufgestellten Grundsätze näher ein und betonte unter anderem, dass die Zulässigkeit des Einspruchs nicht von Sachfragen abhängig gemacht werden kann, also beispielsweise der Frage, ob der Einspruch lediglich mangelnde Klarheit betrifft (s. Zusammenfassung in diesem Kapitel IV.C.2.2.8 g)).
In T 204/91 wurde insbesondere ausgeführt, dass mit dem Wort "Angabe" in R. 55 c) EPÜ 1973 (R. 76 (2) c) EPÜ) mehr gemeint sei als ein bloßer Hinweis auf eine Reihe möglicher Angriffe gegen das Patent samt der voraussichtlichen Begründung zu jedem dieser möglichen Angriffe, wobei die Angabe bzw. der Hinweis später – vielleicht sogar in der Beschwerdephase – womöglich noch durch weitere nachgereichte Beweismittel, Argumente oder andere Unterlagen bis hin zu neuen Einwänden ausgebaut werden könne. Vielmehr müsse die "Angabe" so fundiert sein, dass der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung klar erkennen könnten, in welcher Weise und mit welchen Beweismitteln das Patent genau angegriffen werde. Der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung müssten also mit anderen Worten die Art der Beanstandung und die dazugehörige Beweisführung und Argumentation eindeutig nachvollziehen können. Hierzu müsse soweit auf die relevanten Umstände des Falls eingegangen werden, dass sich der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung ohne weitere Ermittlungen eine abschließende Meinung zu mindestens einem vorgebrachten Einspruchsgrund bilden könnten (vgl. T 453/87, T 279/88; s. ferner z. B. T 1069/96 und T 426/08).
Dass für einen Patentinhaber ohne unzumutbaren Aufwand nachvollziehbar sein muss, was in der Einspruchsschrift gegen sein Patent vorgebracht wird, schließt allerdings nicht aus, dass dem Patentinhaber ein gewisser Interpretationsaufwand abverlangt werden kann (T 199/92; s. auch T 1553/07, T 265/16; s. aber auch T 1082/00, die unter Verweis auf T 204/91 die Grenzen dieses Grundsatzes aufzeigt).